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Der Fluch des Reichsbürgers

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Who knows what evil lurks in the hearts of men? The Shadow knows!

(Es empfiehlt sich, den Text mit Betonung zu lesen.)

Eine idyllische Kleinstadt, nicht nur irgendwo im besetzten Hessen, nicht nur in der Nähe von Point Alpha. Man kennt sich, man grüßt sich, man plaudert morgens beim Bäcker über das Neuste aus dem Ort.
Einen gemächlichen Blick ins Lokalblatt werfend, berichtet es von den Unsäglichkeiten eines Weltgeschehens – so weit weg, als dass sie niemals diesen Ort der Eintracht mit seinen friedliebenden Bürgern zu erreichen vermögen. Man kennt sich, man grüßt sich, man plaudert und geht seinen gewohnten Geschäftigkeiten nach.

Doch eines Morgens steht es in der Zeitung. Man gibt sich entsetzt, ist verwirrt. Denn es stellt sich heraus, dass „sie“ schon ewig unter uns zu weilen schienen, getarnt und vor den Augen des Gesetzes bisher verborgen: Andersdenkende Menschen, mit anderen Weltanschauungen.

Handelt es sich dabei um Sekten und werden sie den friedlichen Einklang geschaffener, geistiger Isolation zu durchdringen wissen? Wer sind diese Anderen?

Der Artikel in der Zeitung spricht von kruden Reichsideologen, von sogenannten „Reichsbürgern“, von selbstgemachten Ausweisen, von der Existenz einer „rechten Szene“, die das traute Heim geschaffener Idylle, „so mir nichts dir nichts“, in Frage zu stellen scheint. Darin enthalten, das Aufkeimen gegen die ernannte und um ihre Schützlinge besorgte Autorität.
Doch was wird diese Autorität zum Schutze ihrer Schäfchen in die Wege leiten, um das aufquellende Ungemach wirksam zu beseitigen?

Und plötzlich beherrscht ein lang verdrängtes Gesicht eines kleinbärtigen Diktators die Köpfe und sorgt für weiteres Unwohlsein im Bauchraum, bei sich verengender Kehle. Ein Hauch von Angst und süßsauerem Achselschweiß liegt in der Luft, leise Feuchtigkeit sammelt sich an den Innenschenkeln.

Erinnerungen kriechen an den Hirnwindungen entlang, denen man meist nur aus Erzählungen – hörend aus dem Geschichtsunterricht – eifrigen Glauben schenkte, vernebeln den Geist.

Von arischen Herrenmenschen, Rassismus und Menschenverachtung wird gesprochen – eine gottlose Brut: blond und mit blauen Augen. Und im Kopf vernimmt man schon das mechanische Marschieren höriger Soldaten, die alles vernichten, was ihnen vor Kimme und Korn gerät und die Lager… ja, die Lager.

Selbst die „braunen Blätter“ im Herbst, lassen so manchen Gärtner mit einem Schaudern an seine Arbeit denken.

Immer wieder kommen diese Erinnerungen eines geglaubt schon längst beseitigten Unrates hoch. So manche Mutter verbietet ihrem Kind verzweifelten Blickes den kakifarbenen Erdnussbutterbrotaufstrich.

Eine rasch verabschiedete Verordnung verbietet jegliche Verwendung von Brauntönen im Kunstunterricht und Geschichte wird seitens der Landesregierung spontan zum Hauptfach erklärt.

Und da tauchen sie auch schon aus den Niederungen der Gesellschaft auf, treiben ihr Unwesen und gründen Staaten – mit fahler Haut und mit leerem Blicke, der aufkeimenden Götterdämmerung einer neuen Weltordnung entgegen, den rechten Arm bereits willig zum Gruße erhoben.

Bei den Behörden verbreiten sie ihren geistigen Unrat, längst überholter Ideologien und kruder Denkweisen eines verdrängten „ewig Gestrigen“.
Das einzig gültige und ewige Recht, hat für sie keine Bedeutung mehr und dem staatlichen Schoß trauter Geborgenheit, begegnen sie nur mit Hass und Verachtung, sprechen unverhohlen von Heuchelei und Lüge.

Die Gesellschaft steht ihnen nahezu hilflos gegenüber, während sich der Virus national-ideologischer Denkweisen, gegen den jedes Mittel der Vernunft wirkungslos zu sein scheint, über die braven Bürger als „braune Soße“ ergießt und zunehmend in unwillige Erwachende verwandelt.
Wie Zombies, sind sie unterwegs – ihr Biss von geistiger Natur, geht er tief in deutsches, schlaffes und müdes Fleisch. Und die Entstellten verwandeln sich vor den Augen der Treuen in unflätiges Gewürm.

Der lang geträumte Traum staatlicher Zweisamkeit scheint seinem schonungslosen Ende entgegenzutaumeln.

Auch in den Gerichten hat man sie bereits ausgemacht, wie sie mit ihren Schreiben fiktiver Inhalte das Recht zu infiltrieren versuchen. Oder sie schimpfen sich „Prozessbeobachter“ – auf den hinteren Rängen lungernd wie Geier, die sich ein Stück dahinwesenden Fleisches erhoffen.

Die Richter sehen sich dabei gezwungen, ein Exempel statuieren zu müssen, indem sie den Inhalten und ihren Befürwortern den Glauben verweigern und tun, was getan werden muss: Unerbittlich Recht zu sprechen, um alsdann ihre heroischen Ritter mit der Beseitigung des geistigen Strandgutes zum Kreuzzuge für die gerechte Sache auszusenden.
Denn es kann ja nicht sein, dass das Geschriebene auch nur annähernd einen Funken von Wahrheit in sich trägt.

Auch die Heroischen sehen sich zunehmend mit dieser braunen Realität konfrontiert und lassen sich nur allzu willig auf die verordneten Maßnahmen gegen den „Staatsfeind No.1“ ein.

Und dem besorgt gemachten Bürger bleibt nur eines, um dieser Brut schlummernder Gewaltbereitschaft zu entkommen: Er hält sich Augen und Ohren zu, in der Hoffnung, dass der propagierte Krug ideologischer Verwerfungen durch beharrliches Aussitzen an ihm vorübergehen möge.

So ungefähr könnte sich eine schwülstige Anreihung standardmedialer Gefälligkeiten anhören, wenn die Realität nicht bereits eine andere wäre, die sich zunehmend ausdehnt – besser: das oben Dargebotene – emotional Angefixte – schlichtweg einfach alles hinter sich lässt.