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Menschlich, persönlich, beruflich

Lesezeit: ca. 10 Minuten

Die Tage erinnerte mich ein Bekannter – ich bin gerade mit der Fertigstellung eines neuen PDFs beschäftigt – indirekt nochmals an ein Thema, was ebenfalls nicht zu unterschätzen ist.

Ich kam vor kurzem darauf, als ich mir das eine oder andere Gespräch der letzten Jahre nochmals vor Augen führte, wo es jenen passiert war, dass sie nach einem beruflichen Schicksalsschlag ziemlich weit abgestürzt waren. Ich fragte mich, warum dies auf nicht selten dramatische Weise hatte stattfinden können.

Gewohnte „Erziehung“ ist darauf ausgerichtet, dass sich der Mensch so entwickelt, dass er in der Gesellschaft etwas „darstellt“, also einen „ordentlichen“ Beruf erlernt, um alsdann einer angemessenen Arbeit nachzugehen und so sein Geld zu verdienen.

(Anmerkung: Wenn nun der rasche Blick auf „antiautoritäre Erziehung“ fällt, macht es auch Sinn, dass auch das Thema „Vernunft und Gewissen“ Einzug einhält – ebenso wie die Erkenntnis, dass verkehrt gelernt wurde, dass Anarchisten eben jene sind, die alles, was nach Autorität riecht, einfach „aus dem Weg zu bomben“ gedenken. Ein nicht selten (selbst) propagiertes Bild, um nur die eigenen, anerzogenen Aggressionsverhalten weiter rechtfertigen soll. So am Rande.)

Mit dem verdienten Geld (verdient, weil er sich verdient/verdingt hat) kann er sich dann all das kaufen, was er als Besitz oder Eigentum zu ersinnen bereit ist: ein Haus, ein Auto und was es sonst noch so Schönes gibt, was man erst zusammenkratzt, um es dann unter der Bedingung der Verdingung des eigenen Lebens erhalten zu wollen. Reicht das Geld nicht, so „gönnt“ er sich ein Dar-Lehen, wobei er sich dem Kaufmann andient, dem er fortan mit Zinsen „das Leben versüßt“.

Geld vermittelt den Eindruck von Sicherheit und Bestand (und je mehr, desto besser – so scheint es zumindest) und aus diesem Grunde rankt sich darum auch so manche Familienexistenz und damit verbundene Verlustängste.
Die Kernregel des Systems lautet: „Es gehört solange dir, solange Du der Autorität und ihren Regelwerken nicht abschwörst.“

Erste und wesentliche Autorität ist dabei nicht irgendein „Kasper“ im Außen, denn der ist lediglich der Spiegel für die eigentliche Autorität: das eigene „Ich“.
Die „Position“, dass das „Ich“ über dem Menschen sozusagen weiter „thront“, beruht auf einer ersten Bestrafung für eigenständige Entwicklung und Erfahrungen sammeln in der Kindheit, wo der junge Mensch nicht den Regelwerken seiner ihm zugedachten „Autorität“ (dessen „Ich“) nicht entsprach. Das gebrandmarkte „Ich“ zog sich so aus dem natürlichen Entwicklungsprozess zurück und gaukelte dem Menschen vor, er sei es.

Der sich entwickelnde Mensch kann sowohl diesen Umstand erkennen und auch Schritt für Schritt überwinden. Das ist die Kernaussage vom Esau-Segen.

Das erklärt auch die Schwierigkeit, warum sich so manche „nicht ändern können“, ja darin fast ohnmächtig sind. Das ist dann der Moment, wo der Mensch seine Aufmerksamkeit auf das Außen richtet, weil er mit der Bedingung unterwegs ist:

„Neues = Bestrafung → „Gestern war alles besser“ = Zugehörigkeit = Sicherheit = Anerkennung = Belohnung“

Und wenn er schon „nicht Herr über sich selbst“ ist, dann versucht es zumindest als „Herr über andere“.

Dass dem Menschen weder Geld, Eigentum oder Besitz (beides im Sinne von „jemand“ oder „etwas“) gehört, darüber macht sich der gewohnte Denker in der Regel keine Gedanken, denn bei den anderen ist es ja auch so und muss demnach „normal“ sein.

Im Grunde genommen sind Eigentum, Besitz und Hab und Gut – also was einem gehören soll und was man vererben kann – lediglich erfundene Vereinbarungen. Unter diesen Bedingungen wendet sich der Mensch vom eigentlichen Leben ab und fristet sein Dasein fortan in einem von ihm künstlich geschaffenen System der Fremdbestimmung und verliehener Privilegien.

Ein System aus zuächst künstlich implementierter Fremdbestimmungsfähigkeit in der Familie und ihrer fortgeführten Anwendung im sozialen Umfeld, im Kindergarten, in der Schule, im Unternehmen, Kirche und Staat.

„Alles Nähere regelt ein Bundesgesetz.“

Auf diese Weise wird so manche Arbeit zum Lebens- und Existenzzweck, die ab und zu durch den einen oder anderen Urlaub – oder was man sich sonst noch so „gönnt“ – durchbrochen scheint.
Die unterentwickelten, menschlichen Eigenschaften „Vernunft und Gewissen“, werden im Sinne gesellschaftlich-gefälliger Interpretation gehandelt.
Auf diese Weise bewegt sich eine große Mehrheit Lichtjahre von ihren wahren Bedeutungen entfernt in der gewohnten Komfortzone mit Fremdbestimmung und einhergehender Betreuung.

Der Mensch verkommt so zum Geschwür seiner Entwicklung und der Natur, in der er seine gesellschaftlich toleriert Unvernunft auslebt.

Nicht selten begegnet mir das Argument: „Man müsse ja Geld verdienen“, was nur zunächst sinnvoll erscheint. Worüber sich kaum jemand Gedanken macht, warum der persönlich-berufliche Werdegang eine so wichtige Rolle einnimmt, während die menschlich-persönliche Entwicklung nicht selten weit in den Hintergrund tritt – besser: „artig und belohnt“ verdrängt wird.

Der Mensch, der einer gewohnten Arbeit nachgeht, darauf seine „Existenz“ aufbaut und doch eines schönen Tages, im Rahmen einer – verallgemeinert ausgedrückt – ökonomischen Veränderung ausgesetzt ist, stürzt in der Regel auf jenen Punkt ab, an dem er sich zuletzt menschlich-persönlich entwickelt hat – gleich wie „stark“ er sich im Außen geben mag.

Denn nicht die persönlich-berufliche Entwicklung ist es, die ihm Rückhalt gibt, sondern die menschlich-persönliche, die ihn auffängt. Das würde auch so manches Regressionsverhalten (Rückfall in alte Verhaltensmuster) erklären, dass so manche Akteure förmlich „zu Kindern werden“ lässt, wenn sich das als sicher Erachtete, sich plötzlich in Luft auflöst.

Es ist in der alten Ordnung ein „Vergehen“, sich seiner menschlich-persönlichen Entwicklung zu widmen, da diese ein eigenständiges Denken über die Dinge und ein konsequentes Hinterfragen, Erkennen, Verstehen und Verinnerlichen – über den gewohnten Tellerrand konventionell-traditionellen Denkens und Handelns hinaus – mit sich bringt und mitunter auch einen veränderten, nun sinngebenden Bezug zum Leben selbst.

Vor geraumer Zeit hatte ich ein Gespräch, wo sich der Dialogpartner als „Leiharbeitsvermittler“ entpuppte. Wer mich kennt, laufe ich nicht bei jeder Gelegenheit im Anzug herum, sondern auch schon mal in Jeans und T-Shirt. Dies ermöglicht mir, dem Gegenüber einen bestimmten Eindruck zu erwecken, da die meisten Menschen vordringlich im Außen orientiert (aufgrund der ihnen anerzogenen Fremdbestimmungsfähigkeit) unterwegs sind.

Ich steuerte im lockeren Gespräch direkt auf meine Ausbildungsmuster und Erfahrungen zu, als das Gegenüber plötzlich – laut und sehr dramatisch – von sich gab: Dass ich mit das Denken dringend abgewöhnen müsse, wenn ich mich mal auf einer Arbeitsstelle bewerben würde.
Okay, er hatte keine Ahnung, mit was ich mich beschäftige und ich mit Sicherheit keinem gewohnten Arbeitsverhältnis zu nahe treten brauche.

„Herr Berg, sie werden hier fürs Arbeiten und nicht fürs Denken bezahlt.“

Gerade das weiträumige Nichtdenken (im Sinne von Verdrängen, in Form einer „objektiven“ Haltung) erzeugt eben jenes Ungleichgewicht, was zu den bekannten Unsäglichkeiten in Gesellschaft und Natur führt, untermauert von einem ständigen Blick nach gestern und vorgestern, auf der Suche eines Weges, wo man eben nicht bestraft (z. B. durch Ausgrenzung) wird.

Belohnung und Bestrafung existieren nur innerhalb des Systems der alten Ordnung und sind Handlungsausdruck eines schwachen „Ich“, was sich dadurch über andere zu erheben versucht.

Um so wichtiger ist nun die Tatsache, dass es wenig nutzt, sich nur mit den üblichen Themen auseinanderzusetzen, während die Selbstbetrachtung und Infragestellung der eigenen, unbetrachtete Denk- und Verhaltensweisen – und damit das System selbst – möglichst weit von sich weg geschoben werden.

Das mag kaum jemand hören. Und so macht mancher nicht selten einen ganz großen Bogen um alles, was eine mögliche Veränderung der Gewohnheiten bedeutet.

Das System der alten Ordnung ist darauf ausgelegt, die Annehmlichkeiten eines freizügigen Lebens eben durch schrittweise Entmündigung der Besetzer des geschaffenen Komfortsofas zu gewährleisten – und zu „verbessern“.

So führt erst die Infragestellung der bisherigen Fundamente mehrheitlich gleichgeschalteter Denk- und Verhaltensweisen – und somit dem System selbst – zu einer wirklichen Veränderung.