Haben und Sein in der alltäglichen Erfahrung

Lesezeit: ca. 23 Minuten

(v1.1) „Studenten, die an der Existenzweise des Habens orientiert sind, hören eine Vorlesung, indem sie auf die Worte hören, ihren logischen Zusammenhang und ihren Sinn erfassen und so vollständig wie möglich alles in ihr Notizbuch aufschreiben, sodass sie sich später ihre Notizen einprägen und eine Prüfung ablegen können. Aber der Inhalt wird nicht Bestandteil ihrer eigenen Gedankenwelt, er bereichert und erweitert diese nicht.
Sie pressen das, was sie hören, in starre Gedankenansammlungen oder ganze Theorien, die sie speichern.“ „Haben oder Sein“, PDF: Seite 37, Erich Fromm

Im Grunde bestätigt Fromm damit, dass reine Ansammlungen und gewohntes „Herunterbeten“ des Gelernten nicht wirklich etwas mit Entwicklung zu tun haben, solange sich die eigenen Denk- und Verhaltensmuster dabei nicht wirklich verändern, weshalb bspw. ganzheitliches Denken und Handeln sowohl zu –

• verändertem Denken,
• veränderten Verhalten,
• veränderten Bedeutungen hinsichtlich der „Dinge“ und Sachverhalte der Welt,
• und damit verbundenem Handeln
• und Haltungen

führt.

Während sich gewohnt über die wahrgenommenen Symptome des Systems „kritisch“ (Klagen, Jammern und sich beschweren) geäußert wird, um anschließend den oder die vermeintlich „Schuldigen“ ausfindig zu machen, ist es damit jedoch nicht getan, da die Ursachen weiterhin unbetrachtet bleiben und im Hintergrund weiter am Gären sind.

Die gewohnt oberflächliche Herangehensweise – im Fokus „schnell wirkender Lösungen“, führen – angewandt – über eine Verzögerung, nur zu weiteren Symptomen und das Spiel geht fleißig weiter, bis der „Ofen aus ist“.

Die gewohnte Denkweise, die für die käufliche „Vielfalt“ verantwortlich ist, sorgt für die Überfrachtung der vom Menschen geschaffenen Strukturen.
Mit selbiger Denkweise, aus denen die wahrgenommenen Symptome hervorgegangen sind, lassen sich jedoch keine Lösungen entwickeln, sondern lediglich die Symptome eine Weile kaschieren.

Und da der gewohnte Mensch auf „alles oder nichts“ gestrickt ist, so macht er weiter und weiter – schließlich hat er ja auch etwas zu verlieren.
Und es ist nicht damit getan, dass damit verbundene eigene Handeln in der Weise zu begründen, dass die anderen das ja auch so machen.

Ein weiteres Phänomen an den Dingen/Gewohnheiten am besten bis zuletzt festzuhalten, besteht in der familiär-gesellschaftlichen Vorstellung, dass man durch Besitztümer erst etwas sei, wo Krise ein Phänomen ist, wo gewohnte Denk- und Verhaltensmuster, damit verbundene Handlungen und zu erwartende Ergebnisse letztlich doch zu keinem brauchbaren Resultat mehr führen.

Und so ist man auch schon beim Dilemma angekommen: Oberflächliche Betrachtungen, gewohnte Denk- und Herangehensweisen (Symptomkaschierungen, Problemorientierung, die Suche nach Schuldigen usw.), wenn es um die Entwicklung von Lösungsmustern geht, helfen nur dann weiter, wenn man sie fortan unterlässt.
Dabei kann man einem anderen auch keine andere Denkweise „beibringen“, da dies über den gewohnt inhaltlichen Austausch hinausgeht und eine Angelegenheit des „Betroffenen“ ist.

Wer will schon erkennen, dass seine bisherige Existenz auf Probleme verursachenden Denkmustern basiert und die Werte, an die er anerzogen individuell-gesellschaftlich zu glauben meint, nur ein etablierter „Fake“ sind?
Nebenbei: Nicht der Mensch ist das „Problem“ auf diesem Planeten, sondern „lediglich“ seine Denk- und Verhaltensmuster.
Doch wer mag das schon hören und akzeptieren wollen, da ihm seine Denk- und Verhaltensmuster glaubhaft machen, er sei sie, und damit ist die Katastrophe auch schon vorprogrammiert.

Die „Kuh“ hat zwar erkannt, dass sie auf dem Eis steht… und gedenkt – gewohnt – dort weiter verweilen zu wollen – gegen alle Widerstände. Ende Gelände.

Auf diese Weise bleibt der Mensch in seinem Gedankenknast gefangen, ohne dies jedoch zu erkennen, unter anderem weil ihm die Vergleichsmöglichkeit zu einer anderen Denkweise fehlt – eine Denkweise, die er übrigens nur selbst entdecken und entwickeln kann – oder auch nicht.
Und erst mit Hilfe beider Denkweisen wird es richtig spannend. Die Grenzen im Kopf sind letztlich nur anerzogen-entwickelt.

„Alle Grenzen sind Konventionen, die nur darauf warten, überwunden zu werden.“ Cloud Atlas, 2012

Die gesellschaftliche Gleichschaltung und damit verbundene Beherrschbarkeit der Massen erfolgt über die gewohnte Erziehung zur Gehorsamsbereitschaft und Entsprechung, Konventionen, anerzogenen Wertvorstellungen und Glaubenssätzen, die das im Kollektiv wirkende System erzeugen und aufrechterhalten. Da unterscheidet sich der Osten nicht einmal vom Westen. Warum?

Die gewohnten Erziehungsmuster führen stets zu einer hierarchischen Organisationsstruktur und darin wirkende „Regelwerke“ stets weiteres „Futter“ für das System, siehe: Rentensystem, wo die gesellschaftlich tolerierte Versklavung der nachfolgenden Generationen zunächst anerzogen und später realisiert wird, als ob es „das Normalste der Welt“ sei. So am Rande.

Bei dem ganzen Tamtam und Gegeneinander (Anmerkung: bspw. die Politik gegen „ihre“ Bürger und umgekehrt) geht es auch nicht einfach darum, dass man die Meinungen und Sichtweisen des „erkannten“ Gegners nur abzulehnen oder anzunehmen habe, sondern darum, sowohl über die eigenen wie auch die Vorstellungen des Gegners hinauszudenken, um dadurch die Betreuung zu verlassen.

Zu erkennen, dass man bisher einer kollektiv angenommenen Fiktion hinterhergerannt ist, wo nicht nur „Geld“ und „Arbeit“ letztlich keinen Wert besitzen, sondern nur das Leben selbst, was einem geschenkt wurde – jedoch nicht von seinen „Eltern“, ist nur dann eine Katastrophe, wenn man den eigenen Entwicklungsprozess anerzogen ausgeblendet und lieber nach den Systemregeln der künstlichen Autoritäten gelebt hat.

Was im Fall gewohnter Denk- und Verhaltensweisen und wahrgenommen gelebt-gedachter Aussichtslosigkeit meist übrig bleibt, ist Gewalt gegen sich selbst, Gewalt gegen andere, Resignation und Regression.

Letztlich sind die eigenen Denk- und Verhaltensmuster der „Austragungsort“ des wesentlichen Widerstands.

An diesem Punkt angelangt, kann man sich die vielen missionarischen Aufkläreraktivitäten ersparen, weil das jeder für sich zu lösen hat.
Allein deswegen gibt es auch keine gießkannenartig verteilbare Standard-Lösungsliste, die man nur abzuarbeiten hat und damit sei man aus der „Nummer“ raus, weil es im Wesentlichen darum geht, die gesellschaftliche Gleichschaltung für sich zu überwinden und dies vordringlich ein rein mentaler Akt ist.
Das ist auch der Grund, warum die Köpfe ständig mit allerlei „interessanten“ Themen befüllt werden, bzw., sich selbst befüllen.
Die Sehnsucht nach „Lösungen“ sieht der Gewohnte nur allzu gerne „bei anderen“ oder „wo- oder wann anders“ wie auch in der Weise, dass alles zu einem bekannten „Gestern“, für andere sogar zu einem „Vorgestern“ zu führen hat.

„Wenn gestern alles besser gewesen sein soll, dann muss es ja vorgestern noch besser gewesen sein. Das führt dazu, dass es in weiter Vergangenheit mal so „toll“ gewesen sein muss, dass man es jetzt kaum noch aushalten kann. Treffen sich zwei Neandertaler, sagt der eine: „Früher war alles besser.“ Der andere schaut ihn verdutzt an: „Was ist denn „gestern“?“

„Solange etwas nur „so erscheint“, bedeutet dies lediglich, dass man darüber keine Entscheidung getroffen hat, als dies bei einem „ist“ der Fall ist.“

Der heutige Beitrag verweist darüber hinaus auf bereits vorhandene Gedanken, im Näheren auf das Kapitel „Haben und Sein in der alltäglichen Erfahrung“ auf Seite 37 des PDFs „Haben oder Sein“ von Erich Fromm – im Kern auf „Erster Teil: Zum Verständnis des Unterschieds zwischen Haben und Sein“ im PDF ab Seite 23.

Nebenbei: Darüber hinaus geht es – trotz Titel – nicht einfach nur um „entweder… oder“, also die übliche Vorstellung von „Alles oder Nichts“, sondern besteht zwischen „Haben“ und „Sein“ gleichzeitig auch ein „sowohl,… als auch“.

Das macht am Anfang zwar ein paar Knoten in den Kopf, doch mit der Zeit „gewöhnt“ man sich daran, gleichzeitig zwei Sichtweisen „zu Rate zu ziehen“.

Nur so am Rande: Es ist schon bemerkenswert, was sich der Mensch, in der „Person“ (Rolle, Hülle, Maske, „Ich“) so an Fiktionen geschaffen hat, die es zu hinterfragen und infrage zu stellen gibt.
Bspw. kann man „Probleme“ (Symptome, Phänomene), die aus dem grundsätzlichen Vorhandensein des anerzogenen Glaubens an den Wert von Geld entstanden sind, nicht mit Geld lösen.
Nebenbei kann man auch deutlich erkennen, wie weit die gewohnte Vorstellung von „Wohlstand“ der im Haben erzogenen Menschen über „gewohnte Grenzen hinaus“ verbreitet ist.

Der Wohlstand im Haben entpuppt sich im Rahmen gewohnter Denk- und Verhaltensmuster als seine den Planeten zerstörerische Variante, dem der Wohlstand im Sein, dem Egoismus im Sein diametral gegenübersteht.
Vernunft und Gewissen zu entwickeln, ist übrigens kein Akt, wo andere, die man zu eigenen Betreuung auch noch selbst(!) gewählt hat, darüber bestimmen, was „gut“, „richtig“ und vor allem „vernünftig“ sein soll.

Einmal mehr, dass gehorsames Kopieren nicht wirklich zu einer Entwicklung führt, wenn gleichzeitig der Fokus auf belohntes artig sein gerichtet ist, sondern nur zu einer klassischen Karriere. Augen rollender Smiley.

So reicht es nicht, die gewohnten Dinge und Sachverhalte nur lange genug anzustarren und anschließend doch nur die gewohnte Haltung einzunehmen, man könne ja sowieso nichts ändern, während das, was man ändern kann, die eigenen Denk- und Verhaltensmuster sind, die darüber befinden, „wie“ man (zunächst) die Welt und ihre Geschehnisse (Phänomene, Symptome, Mitmenschen, „Dinge“, Sachverhalte usw.) einzuschätzen meint.

„Der Einzelne steht wie gelähmt vor einer Verschwörungstheorie, die so monströs ist, dass er sie einfach nicht fassen kann.“ J. Edgar Hoover, Leiter des FBI und Freimaurer

Aus Sicht des Seins besteht eine andere, als gewohnte Beziehung zu Dingen/Sachen oder das was für gewöhnlich zu „Sachen“ gemacht wird – nämlich Menschen. Das Bedürfnis „Herr über andere“ sein zu wollen, verliert gänzlich an Bedeutung.
Es ist jedoch keine Schwäche, was andere dazu ermutigt, die Rolle des „Führers“ an sich zu reißen.

Die gewohnte Vorstellung, dass einem etwas, jemand oder gar das Leben gehören würde, hört sich nur zu Beginn „gut“ an, wenn einem diese Privilegien von einer Autorität als „Grundrechte“ wohlwollend zugestanden werden.
Zu einem späteren Zeitpunkt entpuppt sich die Vorstellung, etwas würde einem gehören, jedoch als „Retourkutsche“, da man über diese angewöhnte Vorstellung fremdbestimmt werden kann.

Man kann Menschen nur deshalb „versklaven“, weil sie sich bereits (durch ihre gewohnten Denk- und Verhaltensmuster und damit verbundene Erziehung) selbst versklaven, im gemeinsamen Gegeneinander mit ihren „Herren“ in einem Kreisverkehr aus Macht und Ohnmacht bewegen, wo das junge Leben zum „Kanonenfutter des Systems“, für den „Ernst des Lebens“ herangezüchtet wird.

Sklaverei ist scheinbar nur dann erträglich, wenn einem nach der Arbeit wenigstens der Gedanke bleibt, dass das Erreichte einem gehören würde.

„Mein Haus, mein Auto, mein Boot.“ Werbung der Sparkassen, 1995

„Nehmt Euch soviel, wie Ihr tragen könnt.“

„An dem Tag, an dem man erkennt, dass niemandem etwas gehört, ist dies auch der Tag, an dem man nichts mehr verliert.“

An diesem Punkt wird auch deutlich, dass man sich Freiheit weder nehmen, noch bei seinen „Herren“ einfordern oder gar wohlwollend zugestehen kann (Anmerkung: Martin Luther King lag mit seiner Aussage über die Freiheit schlichtweg falsch.).

Freiheit ist, wie Frieden und Gerechtigkeit, eine sich entwickelnde Eigenschaft eines sich in Vernunft und Gewissen entwickelnden Menschen.
Der erste Schritt dazu geschieht bspw. in dem Moment, wenn man das eigene, gewohnte Verhalten nicht mehr damit begründet, weil andere ja auch so seien.

Aus dem Blickwinkel des Seins gehört im Grunde niemandem etwas, noch jemand, noch das Leben selbst, und somit kann man auch nichts verlieren.
Nicht nur „das gehört“ mir“, verliert dabei an gewohnter Bedeutung, ebenso ist es das Rollenspiel der Person, in der man sich sonst unbewusst darüber zu bewegen meint – im anerzogenen Glauben, es sei die „einzige“, „alternativlose“ und deswegen auch „ernste“ Realität.

Da die Realität des Einzelnen spielt sich in „seinem“ Kopf ab und ist beeinflusst von „seinen“ gewohnten Denk- und Verhaltensweisen, aus denen sich das aktuelle System konstituiert, in dem man sich dann im Rahmen von Gruppenzwängen bewegt.

Entschließt man sich jedoch seine gewohnten Denk- und Verhaltensmuster, Sichtweisen, Konventionen, Wertvorstellungen und Glaubenssätze Schritt für Schritt infrage zu stellen und bleibt beharrlich und unbeirrt, so entwickelt man sich zu einem schwindenden Teil der „Hegel’schen Volkspersönlichkeit“ („Hobbes’ Leviathan“, „Staat“).

Die meisten Akteure, die sich GEWOHNT im System bewegen, jedoch mehr und mehr beabsichtigen aus diesem auszusteigen, entwickelt sich „das Abenteuer“ für jeden inhaltlich anders, während jedoch die dahinter wirkenden Regelwerke von identischer Natur sind, weshalb sich der Blog hauptsächlich auch nicht mit Inhalten im Rahmen gewohnter Kritik auseinandersetzt, sondern eben auf jene im Hintergrund wirkenden Regelwerke (Prinzipien) konzentriert, die für das ursächliche Vorhandensein des Systems verantwortlich sind.
Ein System, was bisher dazu dienen sollte, „Herr“ über ein wahrgenommenes Chaos werden zu wollen.

Dass es keinen kopierbaren Standard-Plan (für alle) gibt, liegt – wie gesagt – daran, dass jeder individuell ist und es zunächst darum geht, die gesellschaftliche Gleichschaltung der wesentlichen, das System erzeugenden Denk- und Verhaltensmuster selbst zu überwinden hat.

„Wir haben in unserem Leben immer wieder gestaunt, wie Biologen es geschafft haben, immer kleinere Dinge zu betrachten und Astronomen haben immer tiefer und tiefer in den nachtschwarzen Himmel gesehen – zurück in die Vergangenheit und hinaus ins Weltall.
Aber das Geheimnisvollste von allem ist vielleicht weder das Kleinste, noch das Größte, sondern wir, so wie wir sind. Können wir uns überhaupt selbst erkennen?
Und wenn ja, kennen wir uns dann wirklich? Was würden wir zu uns selbst sagen? Was würden wir von uns selbst lernen? Was würden wir an uns mögen, wenn wir aus uns heraustreten und uns selbst betrachten könnten?“ „Erzähler“, Another Earth, 2011

Was das „Haben“ angeht: Der sich in Vernunft und Gewissen entfaltende Mensch erkennt, wenn etwas durch einen anderen in Benutzung ist, dass er eben nicht darauf beharrt, es unbedingt gleichzeitig auch „brauchen“ zu wollen.
„Es ist, wie es ist“, weil das Leben für ihn eine andere Geschwindigkeit vorsieht, als die Simulation des Lebens, beherrscht durch die sonst gewohnten Denk- und Verhaltensmuster, mit/“in“ denen sich sonst gewohnt bewegt wird.

Der Ausdruck „in Deutschland“ bedeutet, dass der Mensch in der Rolle des „Bürgers“ mental eingehüllt wird, während er in seiner Rolle „Deutschland“ erzeugt.

Der Mensch im Sein nimmt es nicht mehr „persönlich“ und fühlt sich „angepisst“, weil er eben nicht mehr daran interessiert ist, sich durch Haben und mehr des Selben darstellen zu wollen.

Liebe und Beziehungen
Wenn wir schon vom „Haben“ sprechen, dann auch was das Thema „Liebe und Beziehungen“ angeht.

„Häufig ändert sich mit der Eheschließung* die Situation grundlegend. Der Ehevertrag gibt beiden das exklusive Besitzrecht auf den Körper, die Gefühle, die Zuwendung des anderen. Niemand muss mehr gewonnen werden, denn die Liebe ist zu etwas geworden, das man hat, zu einem Besitz.
Die beiden lassen in ihrem Bemühen nach, liebenswert zu sein und Liebe zu erwecken, sie werden langweilig, und ihre Schönheit schwindet. Sie sind enttäuscht und ratlos. Sind sie nicht mehr dieselben? Haben sie von Anfang an einen Fehler gemacht?
Gewöhnlich suchen sie die Ursache der Veränderung beim anderen und fühlen sich betrogen. Was sie nicht begreifen, ist, dass sie beide nicht mehr die Menschen sind, die sie waren, als sie sich ineinander verliebten; dass der Irrtum, man könne Liebe haben, sie dazu
verleitete, aufzuhören zu lieben. Sie arrangieren sich nun auf dieser Ebene und statt einander zu lieben, besitzen sie gemeinsam, was sie haben: Geld, gesellschaftliche Stellung, ein Zuhause, Kinder. Die mit Liebe beginnende Ehe verwandelt sich so in einigen Fällen in eine freundschaftliche Eigentümergemeinschaft, eine Körperschaft, in der zwei Egoismen sich vereinen: die „Familie“. In anderen Fällen sehnen sich die Beteiligten weiterhin nach dem Wiedererwachen ihrer früheren Gefühle, und der eine oder andere gibt sich der Illusion hin, dass ein neuer Partner seine Sehnsucht erfüllen werde.“ „Haben oder Sein“, Erich Fromm, PDF, Seite 55

*Anmerkung: Ebenso nicht eheliche Beziehungen, die sich im gewohnten Wahrnehmungsrahmen des „Habens“ bewegen, wo die Wechselseitigkeit nicht selten in einem Machtspiel mündet, wo dem Gegenüber mitunter angedichtet wird, Macht über einen ausüben zu wollen, wogegen man sich „natürlich“ zur Wehr setzen „muss“, um letztlich die eigenen Denk- und Verhaltensmuster nur weiter rechtfertigen zu wollen – ein Gefangenendilemma.

Dies ist dann interessant, wenn man die Erfahrung machen mag, um sich mit der Ursache über das Entstehen von Machtkämpfen und -strukturen sowie die Vorstellung den Partner besitzen zu wollen auseinanderzusetzen.

Dem „jemand haben wollen“ steht die spontane Begegnung zweier Menschen – herbeigeführt durch das Leben – gegenüber.
Hat man erst einmal den Unterschied erlebt/erkannt, wenn sich das Leben durch zwei, die einander spontan begegnen selbst liebt, ist das was gänzlich anderes, als wenn die Vorstellung herrscht, dass sich zwei gegenseitig zu lieben meinen, wo der andere für das Wohl des anderen „zur Verfügung stehen“ soll.
Die „Nummer“ mit dem Leben, was sich durch zwei Menschen zum Ausdruck bringt, ist eine gänzlich andere.

„Du, ich hatte das alles längst vergessen.“ „Und ich bin hier, um Dich daran zu erinnern.“

Letztlich ist man in dieser Existenz auf einer abenteuerlich anmutenden Durchreise, um Erfahrungen zu machen. Zumindest erscheint es mir so.

Selbst wenn man einander nicht mehr begegnen sollte, so bleibt die einst erlebte Liebe in einem weiter bestehen. Liebe ist frei, weil das Leben frei ist, da man beide nicht besitzen kann und diese über die eigene Existenz hinausgehen. Die Würde des Menschen, also das Leben selbst, ist unantastbar.

„Wenn ich sage, dass Liebe etwas ist, dass wir nicht erfunden haben… Sie ist…wahrnehmbar, kraftvoll… Sie muss etwas bedeuten…
Vielleicht bedeutet sie noch etwas anderes. Etwas, dass wir nicht… noch nicht verstehen können.
Vielleicht ist sie irgendein Beweis, ein Artefakt einer höheren Dimension, die wir gar nicht bewusst wahrnehmen können. Ich fühle mich durchs Universum zu jemandem hingezogen, den ich zehn Jahre lang nicht gesehen habe. Wohlwissend, dass er wahrscheinlich tot ist.
Liebe ist das Einzige, was für uns spürbar ist und die Dimension von Zeit und Raum überwindet. Vielleicht sollten wir darauf vertrauen, auch wenn wir es noch nicht verstehen können.“ Dr. Amelia Brand, Interstellar, 2014

Was das Gewohnte angeht: Selbst der akustische Hinweis, dass man kein Interesse an Machtspielen/-kämpfen hat, wird mitunter vom Gegenüber als mögliche „Täuschung“ und das Verhalten selbst mitunter als „Schwäche“ interpretiert, was jedoch irrig ist.

Wenn es sich um Liebe handelt, wo das Leben zwei Menschen zusammenführt und das Leben auf diese Weise durch beide wirkt, statt der üblichen Vorstellung, dass der eine den anderen liebt und umgekehrt, und „der andere“ fortan die Aufgabe hat, sein Gegenüber alles zu geben, so greifen mit der Zeit beide in die leeren Taschen ihres Gegenübers, verbunden mit der Erkenntnis, dass der andere ja auch nichts „hat“.

Der gewohnte Kampf um die Energie, während der andere irgendwann daran „schuld“ sei, dass man selbst unglücklich ist.
Da hilft auch keine noch so strategisch geführte Diskussion, wenn sich beide nicht wirklich darüber bewusst sind, was da mit ihnen, durch ihre Denk- und Verhaltensmuster „geschieht“ und der andere plötzlich als „Gegner“ ausgemacht erscheint.

Heinz Rühmann: