Kurzes über Autoritäten von Erich Fromm

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„Was immer die Gründe sind für den Verlust der Kompetenz verleihenden Eigenschaften – es kommt in den meisten größeren und hierarchisch gegliederten Gesellschaften zu einem Prozess der Entfremdung der Autorität. Die reale oder fiktive ursprüngliche Kompetenz geht auf die Uniform oder den Titel über. Wenn die Autorität die richtige Uniform trägt oder mit dem entsprechenden Titel ausgestattet ist, dann ersetzen diese äußeren Zeichen die reale Kompetenz und die Qualitäten, auf denen diese beruht. Der König – um diesen Titel als Symbol für diese Art von Autorität zu verwenden – kann dumm, heimtückisch, böse, das heißt völlig ungeeignet sein, eine Autorität zu sein, dennoch hat er Autorität. Solange er den Titel hat, nimmt man an, dass er auch über die Qualitäten verfügt, die ihm Kompetenz verleihen. Selbst wenn der Kaiser nackt ist, glaubt jeder, dass er schöne Kleider anhat.

Dass die Menschen Uniformen und Titel für Kompetenz verleihende Qualitäten halten, geschieht nicht ganz von selbst. Die Inhaber der Autorität und jene, die Nutzen daraus ziehen, müssen die Menschen von dieser Fiktion überzeugen und ihr realistisches, das heißt kritisches Denkvermögen einschläfern. Jeder denkende Mensch kennt die Methoden der Propaganda, Methoden, durch die die kritische Urteilskraft zerstört und der Verstand eingelullt wird, bis er sich Klischees unterwirft, die die Menschen verdummen, weil sie sie abhängig machen, und sie der Fähigkeit berauben, ihren Augen und ihrer Urteilskraft zu vertrauen. Diese Fiktion, an die sie glauben, macht sie für die Realität blind.“ Erich Fromm, „Haben oder Sein“, PDF-Seite 47 bis 48