2049 – Treffen der „Deutsch-Arischen Freundschaft“
(v1.1) Eine aufwändig gestaltete Urkunde, verbunden mit einem beglaubigten Anschreiben, unterschrieben von der ehemaligen, letzten noch lebenden Bundeskanzlersekretärin a. D., ging per Kurier an den Verein „Deutsch-Arische Freundschaft“, worin zu seinem 25-jährigen Bestehen gratuliert wurde.
Auch im Jubiläumsjahr hatte sich der Vorstand der letzten staatenlosen Deutsch sprechenden Menschen für ein umfangreiches Aufklärungs-, Aktions- und Unterhaltungsprogramm stark gemacht und die besten, noch lebenden Redner und verbliebenen Akteure geladen.
Als die Einladungen geschrieben und versandt wurden, waren diese vom Vorstand zwar nicht persönlich unterschrieben worden, dennoch fanden sich die bekannten Persönlichkeiten aus der einstigen „Reichsbürger-Szene“ ein. Man übte Nachsicht.
Die Glanzpunkte der aufwändig geplanten Veranstaltung verkörperten die Anmut eines neuzeitlichen Oratoriums. Es wurde an alles gedacht.
So fand man sich am Sonntagmorgen pünktlich um neun Uhr auf dem Aldi-Parkplatz eines kleinen Ortes ein: die letzten der verbliebenen Vorzeigehelden(In) ewigen Nationalstolzes, vereint zu einem akustischen Aufbäumen – schwelgend in ewigen Vergangenheiten.
Ein großes, leuchtendend weiß erstrahlendes Festzelt, vom patriotischen Zeltverleih zur Verfügung gestellt, entlockte dem einen oder anderen rechten Auge so manche feuchte Reichsträne. Etwas betagte Reichskriegsflaggen zierten überall die Spitzen. Erinnerungen.
In diesem Jahr lautete das Motto: „Lieber heim ins Reich, als reich ins Heim.“
Ja, sie waren alt geworden; lederne Gesichter, gezeichnet vom Widerstand. Und während so mancher Rollator bei der ersten Andacht leise zum Schweigen kam, vertraten sich die beiden letzten Ortspolizisten am Rande des Parkplatzes ihre Beine – selbst verfangen in guten alten Zeit.
Nach der gemeinsamen Andacht im Großzelt, die sich durch Klänge altdeutscher Patriotengesängen zum Ausdruck brachte, fand man sich zum gemeinsamen Frühmahl zusammen – gesponsert von der Aldi-Filiale.
Während man sich auf den Festgarnituren niederließ und die frühe Sonne so manches Gesicht errötete, herrschte Schweigen, was alsdann durch leise Marschmusik durchdrungen wurde.
Unterbrochen wurde das Szenario durch ein „Merkel muss weg“, was sofort zu schallendem Gelächter und so manch bedrohlichem Hustenanfall führte.
Ja, Merkel musste wirklich weg – besser: Sie ging von selbst – mit 85 Jahren, indem sie ihr Amt niederlegte. In einer flüchtigen Mitteilung der Bundesregierung, damals aus Altersgründen. Das war schon vor 10 Jahren gewesen. Und da waren sie gegangen, die alten Feinde – und aus Zionismus wurde irgendwann Ziehharmonika.
Während man bei lauwarmen Kaffee und Brötchen, belegt mit guter alter „Zimbo“ und Einwegkäse der Eingangsrede halbwegs aufmerksam lauschte, war die Ruhe nur durch ein gelegentliches „auf Toilette gehen“ unterbrochen, während einer der letzten alten Afrikaner, der den Patrioten wohl ans Herz gewachsen war, den einen oder anderen Kaffee eifrig nachzuschenken versuchte.
Da war sie nun. Die einzige verbliebene Gemeinde, die in ihrer Zusammenkunft noch existierte und es bedurfte am Ende dafür keiner Rechtsgrundlagen.
Der eine oder andere trug am Revers noch eine verblichene AFD-Plakette mit dem Aufdruck „Stark für Deutschland“ mit einem Foto einer Parteivorsitzenden, deren Namen man schon lange vergessen hatte.
Die Flüchtlinge waren damals in 2035 alle gegangen, verließen das schöne Land, in dem sie sich nie zuhause gefühlt hatten, weil das Geld ausging.
Sonntags war der Parkplatz beim Aldi immer ein ruhiger Ort, der in der Woche von Jugendlichen als Umtausch- und Handelsplatz für Marihuana genutzt wurde.
Das bot sich dort auch an, da der Platz von einer Seite zur Straße hin von großen deutschen Eichen verdeckt wurde, die wohl so an die 60 bis 70 Jahre hatten und nun den Besuchern den ersten kühlen Schatten spendeten.
In der kurzen Pause nach der Eingangsrede erzählte einer der Älteren, wie er vor über 35 Jahren noch einen „Gelben Schein“ bei der Gemeinde beantragt hatte und eine abgegriffene Kopie aus seiner Brieftasche zog. Später war der Staatschutz bei ihm zuhause erschienen und hatte Fragen gestellt. Den gibt es heute ja auch nicht mehr.
Nach der Pause lautete das erste Thema: „Wir müssen was tun“. Und während der betagte Redner sich engagiert in seiner Materie vertiefte, richtete sich der kollektive Blick indes auf zwei wunderschöne Pfauenaugen, die sich auf dem Zitronengebäck niederließen. Die beiden Ortspolizisten fanden sich derweil zu einer Zigarettenpause unter einer der dunklen Eichen wieder.
In der Pause herrschte bei den Dixi-Klos wieder aufwändiges Treiben und es zogen bereits einige Quellwolken auf, die eine Ahnung von Regen in sich trugen. Eine leichte Brise belebte die vielen kleinen Fahnen auf den Festgarnituren und mitunter auch ein tränendes Auge.
Der nachfolgende Redner erinnerte an die noch heute viel diskutierte Thematik des „UCC“. Wohl hatte er jedoch vergessen, dass das Geld vor fast zehn Jahren bereits abgeschafft worden war und es keine privaten Besitztümer mehr gab.
2039, ein Jahr grundsätzlicher Veränderungen und ab da gab es keine Politiker mehr.
Zum Mittag gab es deutsches Rindfleisch vom Grill, was unter der dickbeglasten Weitsichtigkeit des Grillexperten etwas gelitten hatte.
Gereicht wurde es mit „deutschem Kartoffelsalat“ vom ortsansässigen Aldi-Sponsor und selbstgemachtem Couscous, während aus der Musikanlage unter anderem Ernst Buschs „Ami go home“ klang, wie auch viele andere Interpreten aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts erklang.
Die Alliierten hatten bereits vor 25 Jahren das Land verlassen. Ein damaliger Triumph deutsch-deutscher Beharrlichkeit, wie es stets hieß. Jedoch hatte es einen anderen Grund.
Man wollte die verbliebenen Tage lieber in der Heimat bei den Angehörigen verbringen und sich dort pflegen lassen, zumal das Geld hier auch ausging und so manches „Altersleiden“, das Fahren im Panzer verhinderte oder allzu oft unterbrach.
Unter den Einladungen waren auch einige an damalige Botschafter der Besatzer gerichtet, von denen sich zwei englische wie auch drei amerikanische auf der Veranstaltung am späten Nachtmittag einfinden sollten.
Derweil fielen ein paar wenige Tropfen auf die weißen Papiertischdecken, während sich die Sonne daran machte, die Wolken wieder verdrängen zu wollen.
Gut, dass es keine Chemtrails mehr gab, war ein Aufregen vom Arzt her untersagt worden.
Im gemeinsamen 20-minütigen Spaziergang im naheliegenden Park wurde darüber nachgedacht, ob man wieder Flugblätter verteilen sollte.
Man entschied sich jedoch dagegen, weil ein weiträumiges Begehen des Ortes aus Altersgründen nicht mehr gegeben sei und man die Nachbarn ja bereits persönlich kenne.
Zurück, gab es pünktlich zur mitteleuropäischen Kaffeezeit den guten alten deutschen Streuselkuchen von der Aluplatte, dazu warmen Kaffee und der Vortrag: „Deutsche Souveränität nach RuStaG 1913“, der jedoch durch die zu früh eintreffenden englischen und amerikanischen Botschafter unterbrochen wurde.
Die Wolken hatten sich derweil wieder verzogen, und man fand sich in herzlicher Runde, zum Schwelgen in den guten alten Zeiten, zusammen. Der eigentliche Vortrag: „Zurück zu deutscher Rechtsstaatlichkeit“, geriet in dem herzlichen Miteinander in Vergessenheit.
Um 19 Uhr verabschiedeten sich die Botschafter wieder und gaben wie jedes Jahr, den Boden wieder frei.
Schweigen trat bei den verbliebenen, letzten Deutschen ein, und tiefe Trauer erfüllte die Gemüter. War dies bereits schon alles gewesen? Hatte man im Leben genug getan?
Als die Sonne hinter dem Horizont verschwand, trat man die Heimreise an. Es war neun und um zehn war Schlafenszeit – in der gemeinschaftlichen Betreuungsunterkunft.
Musikalische Untermalung: Ernst Busch