ich
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Wo sich die Geister letztlich scheiden

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Wenn von Verantwortung gesprochen wird, dann reibt sich auf der einen so mancher mit Karriereambitionen die Hände, bedeutet es für ihn stets eine ansprechende Entlohnung, während er fortan über die Geschicke anderer befindet.

Auf der anderen Seite gibt es jene, die sich als Bedingung gesetzt haben, zumindest keine Verantwortung für ihr Handeln übernehmen zu wollen und wenn, dann nur im kleinen belohnten Rahmen, während ihr Vorgesetzter mit Argusaugen darüber wacht, um die gesteckten Ziele seines Vorgesetzten und dieser wiederum…usw.

„Wir stehen alle hinter dir… wenn die Kugeln kommen.“

Man ist sich einig: Der eine tut so, als würde er die Verantwortung des anderen übernehmen, und der andere hat die Vorstellung, diesbezüglich keine tragen zu müssen. Das passt doch ganz prima: Alle bewegen sich geschlossen in einer Illusion. (Willkommen in der Anstalt.)
Im Kern geht es darum, den Konsequenzen für jedes Handeln aus dem Weg zu gehen, was gleichzeitig dafür sorgt, dass auch die Entwicklung des Handelnden ausgehebelt wird.

Menschen, die es nicht gewohnt sind Verantwortung zu tragen, vor allem für ihr eigenes Handeln, sind reichlich an der Schar. Das hängt mit der gewohnten Erziehungpraxis zusammen, die in der Regel unter der Bedingung: „Du bist solange gut, solange mir dies gefällt“ stattfindet.
Hier wird das „ich“ geprägt (Es kann sich jedoch auch „entprägen“ – die eigentliche Freiung.) – also mit „Bedingungen“ (Konditionen) „gefüllt“.

Im eigentlichen Sinne ist es ja nicht die Verantwortung an sich, die das komische Gefühl in der Bauchgegend erzeugt, sondern mehr die Konsequenzen, die damit plötzlich auf einen zukommen (könnten).
An dieser Stelle macht sich das „Ich“ (konditioniert) stark, alles haben, jedoch nur keine Verantwortung tragen zu wollen – abgesehen von einer damit verbundenen, möglichen Entwicklung seiner selbst. Wobei wir wieder am „Kern des Pudels“ angelangt sind.

„For you partake of that last offered cup,
Or disappear into the potter’s ground.“

Johnny Cash, The Man Comes Around

Der Grund, warum es immer ruhiger um ihn wird, wenn sich der Mensch aufmacht, sich zu „befreien“. Es ist jener Moment der Entscheidung, über seinen eigenen(!) Schatten zu springen – sich selbst zu vertrauen: Komme, was kommen mag.

Menschsein ist im Kern der falsche Begriff, es heißt Menschwerdung – also ein fortlaufender Prozess, der sich dann erst in Gang setzt, wenn man diese „Grenze“ in sich selbst überwindet, die sich aus Verhalten, Konditionierungen und Konventionen und davon abgeleiteten Werkzeugen und Methoden der Gesellschaft und ihren daraus entstandenen Institutionen zum Ausdruck bringt. (Die Fähigkeit, dies zu überwinden, ist jedem in die Wiege gelegt.)

Man mag noch so nahe an diese Grenze herangehen, ein Grenzgänger wird solange Grenzgänger bleiben, weil sein „ich“ versucht auf der anderen Seite so etwas wie Sicherheit in gewohnter Form erblicken zu wollen – in der Regel der Sicherheit im Außen, durch Abgrenzung. Das klassische Hamsterrad.

Solange er jedoch nicht erkennt, dass es an und in ihm selbst liegt, seine innere Sicherheit (Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen) zu entwickeln, solange lungert er vor seinem selbstgeschaffenen Zaum, statt sich auf sein Abenteuer einzulassen.

Geschaffene äußere Sicherheit ist trügerisch, denn beruht sie auf einer Bedingung, die ihn die Sicherheit solange erleben, wie er sich „artig“ betreuen lässt und der „Autorität“ ergibt.

„Till Armageddon, no Shalam, no Shalom.
Then the father hen will call his chickens home.
The wise men will bow down before the throne.
And at his feet they’ll cast their golden crown.“

Johnny Cash, The Man Comes Around

Dabei ruht die hörige Autorität auch in ihm selbst, die sich gerne in der Erwartung einer Belohnung(!) unterwirft. Das liebe „Ich“. Ich habe mir die Tage die Frage gestellt, was das „ich“ überhaupt sein kann. Kinder wählen sich letztlich andere Kinder und geben sich Titel, wie „General“, „Reichskanzler“ oder auch „Minister“.

Hin und her, kam der Gedanke auf, dass es sich beim „ich“ um das Sammelsurium der eigenen Verhalten, Konditionierungen handelt, mit denen der Mensch für gewöhnlich angefüllt wird und herumläuft und diese notfalls bis aus Blut verteidigt, während sein „ich“ (also jenes Sammelsurium selbst) sich dabei den Spaß macht, „überall“ Feinde schaffen zu wollen, um seine eigenen Kernprogrammierungen, die es selbst ausmachen (einschließlich des inneren Feindbildes zu sich selbst) in jedem Fall beibehalten (schützen) zu wollen.

„Voices callin‘, voices cryin‘.
Some are born an‘ some are dyin‘.“

Johnny Cash, The Man Comes Around

Die Projektion (Schuldzuweisungen und Unterstellungen, Urteilen und Behauptungen &c.) ist somit eine Art Schutzmechanismus des „ichs“, um sich selbst (in sich selbst) nicht ändern zu wollen, weil sonst seine eigene Existenz auf dem Spiel steht.
An diesem Punkt steht eines Tages so mancher (wenn er sich nicht ständig ablenkt und beschäftigt), diese eine, ihn selbst betreffende Entscheidung zu treffen.

„For you partake of that last offered cup,
Or disappear into the potter’s ground.“

Johnny Cash, The Man Comes Around

Nicht nur dass die Vorstellung besteht, dass das „ich“ des Einzelnen sich in einer Masse summierend aneinanderreiht. Auch hier gilt: „Das Ganze ist mehr, als die Summe seiner Teile“ – es ist das Produkt gesellschaftlicher „ichs“ zu einem „Meta-ich“. Wie im Kleinen, so auch im Großen. Das nennt sich dann „Staat“ (statisch) in seiner klassischen Form.

Es liegt also am Einzelnen selbst, sich dazu zu entscheiden und auch den sich ihm in den Weg stellenden Aufgaben anzunehmen. Es gibt jedoch kein beglaubigtes Stück Papier und was war es dann mit Selbstbestimmung oder gar ein einfach mal so tun, als ob.

Das „Woanders“ (außen) ist dabei nur der Spiegel, und hilft einem zu prüfen, ob sich in einem selbst etwas verändert (hat).

Zeit zum Umdenken.

Musikalische Untermalung: „The Man comes Around“, Johnny Cash