Fliegenpilz
Fliegenpilz

Tage der Abrechnung

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(v1.1*) Kurz vor neun Uhr, klingelte das Telefon. Die Nummer auf der Anzeige war mir nicht bekannt. Wer konnte das sein? Ich nahm ab und meldete mich ordnungsgemäß. Der Mann am anderen Ende der Leitung stellte sich kurz als der Privatsekretär des Kaisers vor und ob ich etwas Zeit für seine Ausführungen hätte.

Er sprach darüber, dass in den letzten Wochen sehr viele ehemalige Reichs- und Rechtsaufklärer über Seminare und Workshops in ihre neuen Aufgaben eingeführt worden waren. Auf die bis dato bestehende Exilregierung habe man nach langer Überlegung und im Zuge notwendiger Verjüngung der Regierungsteilnehmer verzichtet.
Notwendige Entscheidungen und sich daraus ergebende Auswahl waren hintergründig bereits vor über sechs Monaten getroffen worden. Er entschuldigte sich im Namen des Kaisers, warum man sich bei mir bis heute nicht gemeldet habe. Was jedoch seine triftigen Gründe hatte.

Seit gestern habe man wieder die Macht über alles übernommen und alle Bürger würden in den nächsten Tagen vom Kaiser schriftlich kontaktiert, die sich bisher aktiv für den Fortbestand des Deutschen Reichs eingesetzt hätten, um sich auf diese Weise bei ihnen zu bedanken. Ich sagte ihm, dass dies bei mir nicht der Fall sei, da ich keinem Staat zugehörig bin und auch nicht sein möchte.

Der Mann fuhr mit seinen Auslegungen fort und sprach darüber, dass die Bürger über die gewohnten Medien in den nächsten Tagen informiert würden, dass sie nun eine neue Regierung bekämen, die aktuelle Regierung sei bereits seit einigen Tagen in militärischem Gewahrsam – im Einklang mit dem seit 1945 im Hintergrund agierenden Kontrollrat der Alliierten.

Wegen der Vergehen gegen das Deutsche Reich, habe man ein stilles Abkommen mit Paraguay getroffen, um in den nächsten Wochen mit der Deportation zu beginnen. Man habe auf weitere Bestrafungen verzichtet. Jene könnten ihre Angehörigen einmal im Jahr für eine Woche besuchen.

Weiterhin würde man jedem Bürger, der sich der neuen Regierung freiwillig zuwendet, 1.000.000 Euro aufs Konto überweisen (versteuert natürlich), um damit die letzten 75 Jahre erlittener Besatzung entschädigen zu wollen. Alle anderen bekämen natürlich nichts.

Ihm wäre aufgefallen, dass ich ja seit 2013 kein Konto mehr hätte und man für mich bereits eines bei der BIZ eingerichtet habe, worauf 50.000 Euro für die Übergangsphase geparkt seien, auf die ich demnächst freien Zugriff erhalten würde. Man würde später einen kaiserlichen Kurier mit den Unterlagen vorbeischicken.

Die über die letzten 75 Jahre vom deutschen Volk erarbeiteten und auf den Strohmann-Konten befindlichen 57,6 Billionen Euro würden – im Zuge des Aufbaus des Landes – weiter „treuhänderisch“ verwaltet und genutzt werden.

Die aktuelle Systemumstellung in den Meldebehörden auf Reichspersonenausweise verzögere sich noch einige Wochen, da man erst einige Widersacher in den IT-Zentren habe enttarnen müssen. Den Gemeinden habe man ihre Schwarzgelder bereits beschlagnahmt und die Bürgermeister alle unter Anklage gestellt. Sie würden später durch ergebene Protektoren ersetzt werden.

Später – so fügte er an – würden mir in monatlichen Abständen jeweils 78.000 Euro auf besagtes BIZ-Konto überwiesen werden. Das Konto sei mit 1,75% Zinsen versehen – pro Monat versteht sich.
In diesem Zusammenhang erwähnte er, dass der Euro 1:1 später gegen Europäische Reichsmark (ERM) ausgetauscht werden wird. Die aktuell inhaftierten Designer und Mediengestalter arbeiteten bereits mit Hochdruck an den Entwürfen für das neue Geld.

Die Leitung der EZB habe man, im Zuge kaiserlich angeordneter Umbenennung in „Reichseuropäische Zentralbank“ (REZ), bereits ihre volle und bedingungslose Unterstützung zugesagt und ist sehr darüber erfreut, weiter ihre wohlwollenden „Lenkfunktion der Wirtschaft“ ausführen zu können – natürlich auf Anordnung des Kaisers und seines Ministerrates.

Der Kaiser erwäge bereits seinen Herrschaftssitz in Brüssel zu nehmen, während die Reichsregierung von Großberlin aus, die Geschicke des Reichs und seiner Angehörigen zu lenken bereit sei.
Zudem arbeite man seit vierzehn Tagen an der friedlichen Übernahme der Nord-, Süd-, Ost- und Westgebiete für die unter anderem ein großer Teil der Gelder auf den Strohmann-Konten benötigt würden. Um das Deutsche Reich nicht nur im gewohnten alten Glanze aufblühen zu lassen, habe dies der Kaiser persönlich vor der Übergangsregierung und den noch amtierenden EU-Ministern verkündet. Es folgte andächtiges Schweigen.

Die Verbliebenen der Bundeswehr, die Polizei und der Geheimdienst würden zur inländischen Reichsordnungsabteilung zusammengefasst, um mit besonderen Befugnissen ausgestattet, vor Ort auch weiterhin die öffentliche Ordnung gewährleisten.

Bevor er es vergaß, habe man den Zugang zum BIZ-Konto im Sinne der stattfindenden Systemumstellung und meiner damaligen erfolgreichen Recherchen zum Thema „Strohmannkonto und die BIZ“ nun auch erheblich vereinfacht.

Das war doch mal ein angenehmer Klang in meinen Ohren, ging es mir ja die ganze Zeit sowieso nur darum, irgendwie Geld und Macht zu erlangen – das Einzige, was mich immer interessiert hat.

Da kann ich mir endlich ein Auto und ein Haus kaufen. Dann gründe ich noch ein Unternehmen mit vielen „Mitarbeitern“. „Sozial ist, was Arbeit schafft“, heißt es ja immer. Vielleicht bekomme ich noch einen Reichsverdienstorden.

Weiter sprach der Mann darüber, dass ich einen Posten in der neu zu besetzenden Landesregierung bekäme sowie einen Ministerposten in der Reichsregierung – auf Lebenszeit. In letzterem Fall würde ich dann direkt dem Reichskanzler unterstehen und müsste mir einen zweiten Wohnsitz in Berlin nehmen.

An meinem Heimatort würde mir der Leiter des lokalen Finanzamtes, der Polizeichef und die Gerichtsbarkeit bedingungslos zur Verfügung stehen, um schnellst möglich reagieren zu können.

Wahlen habe man – so sagte der Mann – abgeschafft, damit der Bürger die Zeit besser für sich nutzen könne, denn hatten diese ja bisher auch nichts gebracht. Es wäre ja auch sehr umständlich jedes Mal das gleiche Brimborium zu veranstalten – und damit auch die lästigen Entscheidungen, wer nun der Beste für ein Amt sei.

Im Zuge grundsätzlicher Umgestaltung, würde es auch wieder echte Beamte geben, die im Notfall auch Einzelentscheidungen durchsetzen können, deren Bestallung mir im Sinne meines Ministeriums dann auch obliege.
Noch würde darüber beraten, zur Bestallungsurkunde noch einen silbernen Orden im Rahmen feierlicher Ernennungen zu überreichen, der dann – passend zur Amtskleidung – getragen werden würde.

Was meine Mobilität anbelange, bräuchte ich mir keine Sorgen zu machen, denn ich könnte die drei Dienstwagen plus persönliche Fahrer auch für private Zwecke nutzen.

Das habe ich ja schon immer gewollt.

Mit leiser Stimme fügte er hinzu, dass man in den nächsten Wochen auch mit dem Abriss des Reichstages beginnen wolle, um endlich die Entwürfe der neuen Reichskanzlei von Albert Speer umzusetzen. In diesem Zusammenhang sprach er von der bestehenden Steuerlast der Bürger. Diese würde deswegen nur sehr geringfügig angehoben werden.

Auch bräuchte ich kein Haus zu kaufen, da ich mir eines oder mehrere aussuchen könne – wie das mir beliebe. Einige Landsitze würden mir, im Zuge der Verhaftungen der Feinde des Reichs in den nächsten drei Wochen mit gesamtem Inventar und Bediensteten frei zur Verfügung stehen.

Ich fühlte mich geschmeichelt, hatte ich doch die letzten Jahre auf alles verzichtet. Wer würde da nicht zugreifen wollen?

Falls ich noch Fragen hätte, gab er mir dann seine Durchwahl und verabschiedete sich von mir.

Wenn Sie dies bis hierhin mit ernster Miene gelesen haben, so war dies ebenso beabsichtigt, wie wenn nicht. Ich wünsche Ihnen trotzdem eine angenehme Zeit.

P.S. Eine Bitte. Glauben Sie nicht alles, was Sie lesen, hören oder denken.