Die Einheit der Gegensätze
(v1.1*) Das klassische „Ich“ fühlt sich recht schnell bedroht, weil es so „seiner (anerzogenen) Natur“ nachgehen kann, um damit seine Existenz durch einen möglichen „Feind“ zu behaupten. Treffen zwei so „gestylte“ Gemüter aufeinander, ist die Auseinandersetzung nicht mehr fern.
Deshalb ist es so leicht, entsprechende Szenarien zu entwickeln oder auf mögliche oder zukünftige Bedrohungen hinzuweisen, die den Betroffenen sich in einen vorgegebenen – meist kontrollierbaren – Rahmen halten lassen.
„Sie stand da… (Pause)… die Guillotine… da hinten. Haben sie je einer öffentlichen Hinrichtung als Zeuge beigewohnt, Vidocq?“ „Ja.“
„Jeder sollte das wenigstens einmal im Leben sehen. Die Menge, wie sie johlt, denjenigen beschimpft, ihn beleidigt, lautstark seinen Kopf fordert. Den Kopf und die Schuhe. Bei Marie Antoinette waren sie davon besessen. Alle wollten sie ihre Schuhe haben. Sie richten eine Königin hin und denken dabei an ihre eigene Füße.
Es ist ein schwerwiegender Fehler, das Volk mit der Masse zu verwechseln. Das Volk ist nämlich der Souverän. Das ist die größte Errungenschaft der Revolution.
Aber die Masse ist ein wildes Tier, was ernährt werden will, manipuliert, beherrscht. Ich habe von dieser Terrasse aus dutzende von Köpfen rollen sehen, Vidocq. Royalisten, Orelonisten, Jakobiner, Gerandisten. Aber das Publikum hat immer dasselbe geschrien. Niemand hat Gnade gefordert. Sie wollten alle nur Blut sehen.“
„Wir verdanken es dem Kaiserreich, dass das Chaos wieder beendet wurde und dass wieder Ordnung herrscht. Wir müssen es also stärken.“ „Glauben sie wirklich?“
Dialog zwischen „Eugène-François Vidocq“ und „Joseph Fouché (Polizeiminister)“, Vidocq – L’Empereur de Paris, 2018
Überall lauert der „Feind“ und wenn es der unbekannte Fußgänger ist, der einen möglicherweise anstecken könnte, weil man sich selbst ja für gesund hält. Der andere ist jener, der die eigene Existenz gefährden könnte.
„Wer Angst vorm Sterben hat, hat auch Angst vorm Leben.“
Anmerkung: Was noch schlimmer erscheint, als der Tod (das Ende der Existenz des Ichs), ist eine Existenz in fortwährendem Leiden und Klagen, was in der Regel seinen Anfang im Geistigen nimmt und sich später in der Materie zum Ausdruck bringt.
„Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.„ 1. Mose 3,19
Und mit Aufkommen der Banker heißt es nun: „Im Schweiße deines Angesichts, sollst du mein Brot verdienen.“ 😀
Ständig dieser Klamauk um den möglichen Verlust der Existenz oder ihrer möglichen, mit Leid beschwerten Einschränkung. Für die meisten ist es „ernst“ und „alternativlos“, unter anderem weil sie denken, sie seien ihr „Ich“, also ihre Denk- und Verhaltensweisen, während sie sich für Menschen halten – die belohnte Opfer- und Untergebenenrolle, als wesentlicher Aspekt des „Lebens“ mit ihren sie „vor Gefahren und Unwägbarkeiten“ „beschützenden Betreuer“.
„Eine beachtliche Erfahrung, in Furcht leben zu müssen. So ist es, wenn man ein Sklave ist.“ „Roy Batty“, The Blade Runner, 1982
Doch wer will schon realisieren, dass er ein Sklave ist – im Kern ein Sklave seiner gesellschaftlich als „normal“ deklarierten Denk- und Verhaltensweisen?
Das Recht auf Leben, wie es gerne in so manchem Rechtstext versichert wird, ist im Grunde Unfug, weil es nicht um das selbst Leben geht, sondern um die Existenz, die lediglich mit „Leben“ betitelt wird.
Das gewohnte „Ich“, was alles in Besitz zu nehmen meint und für sich beansprucht, einschließlich der Vorstellung, es wäre „sein“ Leben, führt im Grunde nur eine eine nahezu abisolierte Form von Leben.
Mehr wirkt es wie ein anerzogenes Dahinsiechen, was durch Macht, Geld, Eigentum, Besitz, Hab und Gut, also dass ihm etwas oder jemanden gehören würde ein recht kümmerliches Dasein fristet, während es mitunter von „finanzieller Freiheit“ träumt, die man mit entsprechenden Dar-Lehen von der Bank oder viel und noch mehr Arbeiten oder besser: arbeiten lassen, zu „pimpen“ meint.
„Der Pimp ist eine Erscheinung der afroamerikanischen Popkultur. Der Pimp nutzt seine finanzielle Unabhängigkeit zur egozentrischen Stilisierung seiner Person in Kleidung, Manieren und Freizeitvergnügungen und verfolgt eine Ästhetisierung sämtlicher Lebensbereiche.“ Wikipedia
Schein scheint alles. Schließlich will man sich ja durch Darstellung seines Hab und Gutes zu präsentieren versuchen – mehr sein.
Und wenn das von der Qualität her schon nicht so richtig funktioniert, denn die kostet ja ordentlich „Geriebenes“, übt man sich eben in der Quantität oder träumt zumindest davon, irgendwann etwas zu haben oder etwas darstellen zu wollen – mal abgesehen von Menschen mit Talenten, die sie zu nutzen wissen. Mal sehr vereinfacht ausgedrückt.
Die in der Gesellschaft als „normal“ anerzogenen und – im Rahmen von Generation zu Generation „vererbter“ Entsprechung – anerkannten Denk- und Verhaltensweisen, werden eher selten hinterfragt und bilden die Grundlage der Existenz, als wirksamer Teil innerhalb des Systems der alten Ordnung.
„Anlageberatung von Lena, die Sie reich machen könnte.“
„Bitcoin soll bis Ende 2021 200.000 wert sein.“
„Ein Wochenend-Krabbelkurs in täglichem Überleben.“
Das ist kein Leben, es ist mehr oder weniger nur ein Dahinexistieren, in einer Art Halbleben. Lebendigkeit ist keine Angelegenheit, sich fortwährend im Haben oder in der zur Schaustellung bewegen zu wollen, die mitunter ja auch noch finanziert werden muss.
Wie sehr doch Authentizität eine Rolle spielt, während sich der gewohnte Denker von Glamour und Glanz leicht ablenken lässt.
Während es in vielen Bemühungen im Rahmen seiner Unterhaltung darum geht, ihm eine „einfache Weltsicht“ vermitteln zu wollen, die sich gern in „Gut und Böse“ zu unterscheiden versucht. Wer zu den „Guten“ dazugehören will, muss sich auch nach ihren Regeln verhalten, sich diesen Regeln unterwerfen, sonst gehört er zu den Bösen.
„Entweder… oder.“
„Bist du auf unserer Seite?“ „Ich glaube, so einfach ist das nicht.“ „Dann sollte es aber schnell so einfach werden.“ „Ich bin auf der Seite des Lebens.“ Dialog aus Avengers: Age of Ultron, 2015
Eine recht einfache und letztlich kindliche Sichtweise, die sich mitunter hinter so manch faltigem Gesicht zu behaupten versucht.
Dabei reicht es nicht, die Welt zumindest für den Moment akustisch in Grauzonen aufschmelzen zu wollen, während das anschließende Denken und Handeln weiter von den üblichen Denk- und Verhaltensweisen beeinflusst ist – schließlich könne man ja nicht anders.
„Am Tun wird man sie erkennen.“
Das Leben ist die Invertierung der gewohnten Existenz, wo es nicht einfach um „haben oder nicht haben“ geht. Das Leben geht über die gewohnte, begrenzte Existenz (also die anerzogene, nahezu vom Leben abgewandte Vorstellung von Leben) hinaus.
Da unter dem gewohnten Aspekt der Entsprechung (weil es ja schon immer so war), wurde das „Selbstvertrauen“ durch „Fremdvertrauen“ zunehmend überlagert, wo mehr und mehr bestimmt wurde, was für einen selbst „gut und richtig“ sein soll. Und wer partout nicht entsprach oder entspricht, hatte/hat nichts zu lachen.
„Unsere Welt folgt einer naturgegebenen Ordnung, und wer versucht sie umzukrempeln, dem wird es schlecht ergehen.“ „Haskell Moore“, Cloud Atlas, 2012
Jetzt wird es spannend. In der gewohnten Sichtweise, versucht man sich vom Alten trennen zu wollen, was man nicht mehr haben will. Das ist die übliche Betrachtung im „entweder…oder“. Findet man sich mental (Realität beginnt schließlich im Kopf) im Leben, während man sich gleichzeitig in der Existenz bewegt, also der Invertierung des Lebens, so stellt sich anerzogen ein Zwiespalt ein.
Doch dort wo der Zwiespalt erkennbar wird, in diesem Fall in einem selbst, kann man die Frage im üblichen Sinne stellen, die sich durch „entweder so…oder so“ – also „Leben oder Existenz“ zum Ausdruck bringt, also die Trennung bestätigt oder man die Frage in der Weise stellt, was die beiden wahrgenommenen Gegensätze gleichzeitig zu verbinden weiß „Leben und Existenz“.
Zwischen diesen beiden gleichzeitig existierenden Zuständen, also „entweder… oder“ und „sowohl…als auch“, findet sich der Entwicklungsprozess des Lebens, verbunden mit der Frage: Mag der Mensch wieder ein aktiver Teilnehmer dessen sein oder übt er sich weiter in seinem Existenzkampf, wo er sich meist damit beruhigt, dass er zumindest nicht alleine ist, während er „Mitstreiter“ sucht, die nicht selten nur „Mitleidende“ sind.
„82 Millionen Einzelschicksale“
Anhand der Frage, kann man den Geist hinter der Frage erkennen. Das Leben präsentiert sich dem Menschen anhand seiner Fragestellung, und die Fragestellung ist wiederum beeinflusst von seinen Denk- und Verhaltensweisen.
Die Frage ist demnach, will er sich weiter an diesen Festhalten oder mag er sich wieder entwickeln wollen, was letztlich alles infrage stellt – allem voran seine Denk- und Verhaltensweise.
Iss‘ doch schon mal was – für den Anfang.