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Wandel… (kam per E-Mail)

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Diese Festlegung wird sogar noch tiefer definiert: „Für den Schutz von materiellen Rechten ergibt sich hieraus eine Art Eingriffsschwelle für die Gefahrenabwehr, die lediglich von den Meinungen als solchen ausgehen, sind zu abstrakt, als dass sie dazu berechtigen, diese staatlicherseits zu untersagen.“ Im Klartext: Der Sonderschutz der Juden ist nicht gefährdet, wenn jemand schreibt/sagt, der Holo hat nicht stattgefunden. Eine solche Meinung, so die Richter, darf vom Staat nicht untersagt werden.

In Absatz 75 des Urteils wird noch einmal deutlich gemacht, dass die Verfolgung im Rahmen von § 130 StGB alleine dem Aufruf nach Gewalt und der eindeutigen Rechtfertigung von historischer Gewalt, nicht aber der geistigen Auseinandersetzung gilt. Es wird zwar gesagt, dass die „rein geistige Wirkung“ sich mit der „rechtsverletzenden Wirkung“ überschneiden kann, doch müsse sich der Gesetzgeber„von vornherein auf die Verfolgung von Schutzzwecken beschränken, die an dieser Grenze orientiert sind und nicht schon das Prinzip der freien geistigen Auseinandersetzung selbst zurücknehmen.“ Es wird von den Richtern sogar eine Verhältnismäßigkeitsprüfung abverlangt. Also, ob aus gewissen Äußerungen Gewalt entstanden ist: „Diesen Grenzen hat auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu folgen. Je konkreter und unmittelbarer ein Rechtsgut durch eine Meinungsäußerung gefährdet wird, desto geringer sind die Anforderungen an einen Eingriff; je vermittelter und entfernter die drohenden Rechtsgutverletzungen bleiben, desto höher sind die zu stellenden Anforderungen … Je mehr [Meinungsäußerungen] im Ergebnis eine inhaltliche Unterdrückung der Meinung selbst zur Folge haben, desto höher sind die Anforderungen an das konkrete Drohen einer Rechtsgutgefährdung.“ Wenn also ersichtlich ist, dass die Verfolgung einer „Sondermeinung“ die Meinungsfreiheit selbst in Gefahr bringt, desto mehr muss überprüft werden, ob wirklich eine Rechtsgutgefährdung (Gefahr für die Juden durch Gefährdung des öffentlichen Friedens) vorliegt.

Was die Gefährdung des öffentlichen Friedens bedeutet, macht das Gericht in Absatz 77 klar: „Nicht tragfähig für die Rechtfertigung von Eingriffen in die Meinungsfreiheit ist ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien oder auf die Wahrung von als grundlegend angesehenen sozialen oder ethischen Anschauungen zielt. Eine Beunruhigung, die die geistige Auseinandersetzung im Meinungskampf mit sich bringt und allein aus dem Inhalt der Ideen und deren gedanklichen Konsequenzen folgt, ist notwendige Kehrseite der Meinungsfreiheit und kann für deren Einschränkung kein legitimer Zweck sein.“

Allerdings, wie immer im BRD-Justizsystem, lassen die Richter eine Hintertür für die Verfolgung mit einer schwammigen Formulierung in Absatz 78 offen. Sie stellen die Strafbarkeit heraus, „den öffentlichen Frieden stören“ indem die Aufforderung zu Straftaten, die Androhung zu Straftaten, die Belohnung und Billigung von Straftaten, eingeschlossen jene des § 130 StGB, enthalten sind.

Aber in Absatz 79 wird diese Definition wieder unwirksam gemacht, indem eindeutig die Strafbarkeit in der Gefährdung des öffentlichen Friedens festgemacht wird: „Der Gesetzgeber hat § 130 Abs. 4 StGB ausweislich der Gesetzesbegründung allein und tragfähig auf den Schutz des öffentlichen Friedens gestützt. Die Frage, ob, beziehungsweise in welchem Verständnis die Norm auch auf den Schutz der Würde der Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft gestützt werden könnte, kann damit dahinstehen.“

Und in Absatz 81 hebt das Gericht die Meinungsverfolgung nach § 130 StGB, wie auch in Absatz 78 schwammig bestätigt, total auf. Es wird klar gesagt, dass nach § 130 StGB nur das Gutheißen des realen Verbrechens verfolgt werden darf, nicht die Ideen. Wörtlich: „§130 Abs. 4 StGB definiert als unter Strafe gestellte Tathandlung die Billigung, Verherrlichung und Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft. Bestraft wird damit das Gutheißen nicht von Ideen, sondern von realen Verbrechen.“