Erich Fromm, Haben oder Sein: „Autorität ausüben“
(v1.3) Es ist einfach entspannend, wenn man bei „System, Mensch und Person“ das „Rad“ zu einem Thema mal nicht neu erfinden braucht:
„Ein weiteres Beispiel für den Unterschied der Existenzweisen des Habens und des Seins ist das Ausüben von Autorität. Der springende Punkt ist, ob man Autorität hat oder eine Autorität ist. Fast jeder übt in irgendeiner Phase seines Lebens Autorität aus. Wer Kinder erzieht, muss, ob er will oder nicht, Autorität ausüben, um das Kind vor Gefahren zu bewahren und ihm zumindest ein Minimum an Verhaltensratschlägen für bestimmte Situationen zu geben. In einer patriarchalischen Gesellschaft sind für die meisten Männer auch Frauen Objekte der Autoritätsausübung. In einer bürokratischen, hierarchisch organisierten Gesellschaft wie der unseren üben die meisten Mitglieder Autorität aus, mit Ausnahme der untersten Gesellschaftsschicht, die nur Objekt der Autorität ist.
Um zu verstehen, was Autorität in den beiden Existenzweisen bedeutet, müssen wir uns vor Augen halten, dass dieser Begriff sehr weit ist und zwei völlig verschiedene Bedeutungen hat: „rationale“ und „irrationale“ Autorität. Rationale Autorität fördert das Wachstum des Menschen, der sich ihr anvertraut, und beruht auf Kompetenz. Irrationale Autorität stützt sich auf Macht und dient zur Ausbeutung der ihr Unterworfenen.“ „Autorität ausüben“, „Haben oder Sein“, Erich Fromm, PDF: Seite 45, 46)
„Autorität, die im Sein gründet, basiert nicht nur auf der Fähigkeit, bestimmte gesellschaftliche Funktionen zu erfüllen, sondern gleichermaßen auf der Persönlichkeit eines Menschen, der ein hohes Maß an Selbstverwirklichung und Integration erreicht hat. Ein solcher Mensch strahlt Autorität aus, ohne drohen, bestechen oder Befehle erteilen zu müssen; es handelt sich einfach um ein hochentwickeltes Individuum, das durch das, was es ist – und nicht nur, was es tut oder sagt – demonstriert, was der Mensch sein kann.“ „Autorität ausüben“, „Haben oder Sein“, Erich Fromm, PDF: Seite 46)
Nachtrag: Nach wie vor ist es jedoch notwendig, den Unterschied zwischen Mensch und Person verinnerlicht zu haben, wobei es nicht darum geht, es nur auswendig zu wissen. Die tiefgreifende Auseinandersetzung mit dem Thema „System, Mensch und Person“ führt zu fundamentalen Veränderungen in der Denkweise und damit verbundenen Verhaltens- und Sichtweisen zur Welt (hier: als Gesamtkonstrukt).
Einer Welt, wo es aktuell nur darum geht, die „Probleme“ (Symptome, Phänomene) zu festzustellen/zu erkennen/ zu kaschieren und die nächstgelegenen in der Rolle der „Schuldigen“ auszumachen und auf „gerechte Autoritäten“ im Sinn üblicher Wertvorstellungen zu hoffen/zu setzen, handelt es sich hierbei um die für das System der alten Ordnung typische Denkweise. (Anmerkung: Die sichtbare Ordnung erscheint in Form der Hierarchie aus in den Familien zu Untergebenen erzogenen mit ihren Herrschaften) , wo sich eine verhaltensgewohnte Mehrheit in der anerzogenen Rolle des objektiven Beobachters bewegt und – wenn einmal selbst betroffen – die Rolle des „unschuldigen Opfers der Umstände“ annimmt und sich von seinen „gerechten Autoritäten“ gern schützen und betreuen lässt usw. – die gegenseitigen, typischen Grausamkeiten mal außen vorgelassen, die der „Ernst des Lebens“ innerhalb der gesellschaftlichen Selbstversklavung so mit sich bringt – einschließlich der gesellschaftlich gewohnten Wertvorstellungen, die das ganze Tamtam deckeln, verbunden mit der wohlwollend überlassenen Vorstellung, etwas, jemand oder gar das Leben würde einem gehören. Die damit entstehend-verbundene Verlustangst“ nicht zu vergessen!
Nachtrag 2: Zum Glück erscheint das alles nur „alternativ- und aussichtslos“ und deswegen auch „ernst“ und ist es nicht wirklich… in dem Moment, wenn man erkennt, dass es nicht „alternativlos“ ist, was nichts damit zu tun hat, dass man nur „woanders“ hinzugehen braucht.
Um- und Weiterdenken ist ein „Weggehen“, während man gleichzeitig „hierbleibt“.
Nachtrag 3: Der Zauberspruch insgesamt lautet: „Primus inter Pares“. Die Autorität selbst ist auch nur eine Rolle innerhalb des Rollenspiels, weshalb man „seine Autorität“ ja auch nur „geltend“ machen kann.