wandelnd
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Marine, Mariane & Marinade

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(v1.1*) „Der Klimawandel macht es möglich. Das Warten hat sich wirklich gelohnt. Erstmals in diesem Jahr startet die Ostsee-Messe. Berater sei dank, kann ich da nur sagen – auch wenn’s viel gekostet hat.“, so der Pressesprecher der „Nationalen Radeberger Schiffswochen“ (NRS).

Klein und fein ist sie. Neben Kajüten- und Kombüsenbauern, machen sich für den betuchten Einsteiger preiswerte linke, rechte sowie konservative Auslegerkanus aus lamentierendem GFK vorstellig, bekennt sich die Messe erst- und letztmalig zum „politischen Kielholen“.

Die Messe ist sowohl für Geschäftskunden wie auch für die Allgemeinheit geöffnet. Begegnung im offenen Raum.

Das Veranstaltungsmotto lautet: „Mehr Mut, statt Wermut“.

Der Slogan „Wehrmacht das Schiff?“, von der „Leipziger Schiffswerbeagentur“, kam nur auf Platz zwei.

Über die Lautsprecher wird soeben verkündet, dass die „Schonerpatrouille Deutschland“ unerwartet „die letzte Fahrt“ wegen Motorschadens bei knapp 11,5 Knoten angetreten hat.
Das Schiff hatte vor vielen Jahren durch eine Meuterei auf sich aufmerksam gemacht.
Diese führte später zu einer dauerhaften Zusammenarbeit mit dem Werftenkombinat „Panzerkreuzer Deutschlands“ und den abtrünnigen Meuterern.
Das Kombinat selbst war ein Ziehkind des Sozialismus und hieß vormals noch „Sozialistische Einschleicher Danzig“.

Das Bio-Schlachtschiff „90“ zeigt sich in einheitlichem Tarnfleck (Reichsauswahlliste: 1018 und 6029).
Von der Reling blicken obligatorisch von Wind, Wetter und Stricken gegerbte Männer- und Frauengesichter. Ein heroischer Anblick.
Dennoch bleibt der Gründergeist der einstigen „Bruderschaft der Küste“ weiterhin vermisst.

Statt gewohntem Dieselantrieb, gestaltet sich das Einlaufen des Schlachtschiffs in den Hafen, mit Hilfe von dreißig manuell synchronisierten Außenbordern, bei angehaltener Luft, doch recht locker. Das senkt die CO2-Werte merklich – zumindest für einige Minuten – alte Angewohnheiten.

Die vor vielen Jahren eingeführte CO2-Steuer geriet recht schnell wieder in Vergessenheit, als der angedachte Zahler negative CO2-Verbrauche nachweisen konnte, und sich aus der Steuer ein zusätzliches Einkommen für Geringheuerer entwickelte. So am Rande.

Das Einlaufen der „90“ mit ihren achtzig BRT ist ein Schauspiel sondergleichen, dem sich eine mit der Bio-Jolle* „Thunberg“ angereisten Gruppe schwedischer „Klima-Konfirmanten“, mit wedelnden Taschentüchern bewaffnet, selig hingibt.

Derweil schenkt der Rest der enthusiastischen Besuchermenge – trotz dieser gekonnten Inszenierung – ihr nur begrenzte Aufmerksamkeit.

Mehr dreht sich das Spektakel um den sich seit gestern im neugestalteten Trockendock befindenden, noch forsch gebenden Seenotrettungskreuzer „Christian D.“ im samtigen Schwarz.
Davor eine etwas übermüdet, konservativ und matriarchalisch geführte Offiziersmannschaft. Frau Kapitän lugt derweil besorgt auf die Uhr. Auch hier riecht die Seeluft nach „letzter Fahrt“.

In der begeistert klatschenden Menge werden nebenbei Handzettel verteilt. „Noch nie war der Osten so nah“, ist der zunächst heimatlich anmutende Werbeeinschmeichler – für letztmalig geschenkte Kampf-U-Boote.

Am reich(s)verzierten Landungssteg vertäut, ein detailgetreuer Nachbau einer Galeere. Der Rumpf aus gelben Meranti, darauf der Name in Magenta: „Große Freiheit Nr. 7“.
Über einhundert in Handarbeit hergestellte Ruder aus Teakholz ragen stolz in den mit Wolken leicht verhangenen Himmel.
Von diesem Schiffstyp sind im Mittelmeer nur noch einige Dutzend unterwegs – abseits bekannter Schiffsrouten zwischen Nordafrika, Italien – und zurück.

Es handelt sich hierbei um ein vor Jahren von der EU gefördertes Großprojekt. Auftragnehmer war die Reederei „Neue Horizonte“, in Zusammenarbeit mit der „Danziger Goldwasser Werft“.

In einem dreiminütigen Abstrakt wird dem Besucher filmisch ein archaisches Bild gezeichnet – muskulöse und verschwitzte Männer bewegen die Riemen (Ruder) im Takt – während dem Zuschauer frische Matjesheringe mit Zwiebeln serviert werden.

Die Veranstalter der NRS haben sich kurzfristig für die Hinzunahme kleiner Segelvereine und Hobbywerften entschlossen, um auch dem Nachwuchs eine nationale Bühne zu bieten.

So hat der Werftenverein „Bismarck“, mit Hilfe alter Konstruktionspläne aus Reichsbeständen, die Steuerbordseite des Kanonenbootes „Albatros“ mit nicht abgebrannten „Welthölzern“ nachempfunden.

Einige Oberflächen sind nach dem Bau uneben geblieben – ein Zeichen von Schweiß und Tränen. Am Bug bereits leichte Brandstellen, ähnlich wie sie Jahre später nach dem Reichstagsbrand vorgefunden wurden.

Vor der Abfahrt der „Schonerpatrouille Deutschland“ machte sich auf dem Hafen-, Messegelände und unter der Mannschaft Unmut breit.
Grund war die Vorstellung des Seichtwasser tauglichen Schaufelraddampfers „Willi Brandt“ aus dem „Mitteldeutschen Werftenkonsortium“.
Mehr ist es dieses Blau, was dem Schiff – trotz seines stolzen Namens – nur etwas Kindliches abgewinnen lässt und deshalb auch Kritik zum Anlass hat. Wer braucht schon rote Bullaugen?

Auch die Bundesmarine – zurück von den Auslandseinsätzen und nun mehr tätig im Inlandaussetzen – ist nach ihrer Runderneuerung in diesem Jahr wieder stolz vertreten und stellt das Konzept eines medizinischen Versorgungsschiffs der neu überarbeiteten „Helgoland-Klasse“ vor: die „Son of Placenta“.
In den zum Teil händisch nachkorrigierten Werbebroschüren, hat man in aller Eile noch schnell den Slogan: „Organspende – denn alles muss raus“ überklebt.
Mehr in den Hintergrund gedrängt, der nach der Zwangsversteigerung verbliebene Teil eines Messinghandlaufs der „Gorch Fock“ sowie ein Stück der zerstörten Bordwand der am letzten Wochenende gehobenen „Titanic“.

Eine kleine Firma aus dem Osthessischen zeigt an ihrem Stand eine in FDM-gedruckte „Arche Noah“ im Maßstab 1: 300.

Der einzige ausländischer Teilnehmer kommt aus Polen. Der recht ungewöhnlichen Präsentation eines Kleinversorgungsschiffes gingen zunächst wochenlange, zähe Diskussion voraus, da der polnische Reeder der nahen „Oder-Neiße-Werft“ auf eine überaus großzügige Bezahlung seines Erscheinens bestand.
Glücklicherweise konnte man sich auf einen kostenfreien Stand einigen, geschmückt mit einem „Elvis-Verschnitt“. Das Standmotto hier: „Love me, Tender“.

Auf Schiffschaukeln wurde, wegen möglicher Besetzung durch antifaschistische Gruppen, verzichtet.

Wir bleiben gespannt, was uns die nächsten Tage noch so alles erwartet. Zurück in die Allgäuer Sendeanstalt.

* biologisch abbaubar

„Achtung, Achtung! Der Fahrer des Wagens BZ-ER 380 wird gebeten sein Fahrzeug umgehend wegzufahren. Es wurde von der Polizei abgeschleppt und versperrt jetzt den Haupteingang zum Kreiskrankenhaus.“

Nachtrag: Bitte, sehen Sie mir nach, dass mich der übliche Firlefanz nicht mehr interessiert.