unbegreifbare
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Über das Wohlergehen der anderen

Lesezeit: ca. 12 Minuten

(v1.7) Um es Eingangs gleich zu sagen: Die Vorstellung, dass man für das Wohlergehen und das Glück anderer zuständig sei, ist der Versuch, die eigene innere Leere außen vorzulassen, um sich für den anderen als eine „Opfergabe“ darzubieten. Und für die „entweder…oder“-Denker:

„Und wie ist das mit den Kindern?“ „Da mögen Sie selbst mal nachdenken.“

Wie kann man etwas geben, was man sich selbst vorenthält… nur weil man mal gelernt hat, dass es egoistisch sei, an sich zu denken? Es geht im Alten darum, den Zustand, von der Gunst anderer abhängig zu sein, selbst aufrecht zu erhalten.

Klassischer Egoismus bezieht sich in der Regel auf das Besitzen von Sachen UND Menschen zum eigenen Vorteil (u.a. als Statussymbol, Ansehen usw.) Im Sein mag hingegen selten jemand Egoist sein oder sich in der Weise aufstellen, dass er eben keine Menschen für seinen eigenen Vorteil „(miss)braucht“/“nutzt“.

Worum es dabei geht, ist die innere Leere mit Äußerlichkeiten befüllen zu wollen. Gewohnte Lösungen sollen diesem Umstand aufrechterhalten, weiter befördern.
Der Mensch im Haben erzogen, passt sich an seinesgleichen an und wenn alle im Haben unterwegs sind, dann lässt sich natürlich auch ein prima Geschäftsmodell daraus ableiten.
Nicht zu vergessen, das gesellschaftliche Ansehen, was man dann genießt, was mitunter auch von Neid und Missgunst durchtränkt ist. Es geht darum, die Aufmerksamkeit von anderen zu erlangen.

„Viel, vieler und noch mehr des Selben.“

All diese Phänomene beruhen auf der anerzogenen, abgeschauten unbewussten Ablehnung des Lebens in sich selbst, während dabei versucht wird mit den „toten Händen“ das Leben in andere „pumpen“ zu wollen, wie Süchtige, die sich gegenseitig das zuzuwerfen meinen, was sie unter „Leben“ verstehen, wo die Wirkung sowieso nur eine Weile anhält, weshalb man sich auch immer neuen Firlefanz ausdenken muss, um den „Kunden“ weiter „bei der Stange zu halten“ – was er zu haben brauchen würde, was für ihn „gut und richtig“ sei. Marketing.

Nur kurz: Wenn davon gesprochen wird, dass „wir“ Wachstum brauchen, ist dies nur der Versuch der (Selbst)Kasteiung jener in der Rolle der Arbeitenden, wo es im Grunde um zwischenstaatlichen Wettbewerb, auf „Kosten“ von Mensch und Natur und zukünftiger Generationen, denen man obendrein auch noch beizubringen meint, dass Gehorsamsbereitschaft und Entsprechung etwas „Gutes“ seien, verbunden mit üblicher Wertevermittlung im Haben, dass einem etwas, jemand oder gar das Leben selbst gehören würde – was man kaufen und sein Eigen nennen könnte.

Dabei entsteht das Bild eines glorreichen Aufstiegs in den Abgrund, begründet damit, dass man ja nicht anders könne.

Die Börsen sind dabei nichts anderes als nur Wettbüros, wo jeder auf alles setzen kann.

„Ich mache mir auch so meine Gedanken. Ich besitze zwei Paar Schuhe. Eins für den Sommer und eins für den Winter. Zu viel Besitz tut dem Menschen nicht gut. Iss‘ meine Meinung. Dieser Drang, alles haben zu wollen, darunter auch Dinge, die kein Mensch besitzen sollte…“ „So wie Menschen?“ „Das ist ein Beispiel. Aber ebenso Orte oder irgendetwas, was wir uns gefügig machen wollen. Das ist ein Problem, oder? Das kann nicht das Ziel sein.“ „Sie halten den Kapitalismus für das Problem?“ „Nein, die Gier. Das Schema: „Alles oder nichts“.“ „Lou Solverson“, Fargo, Staffel 2, 2014

Die innere Leere lässt sich jedoch nur dann stillen, wenn man das Leben wieder in sich zulässt und dann verschwindet auch die übliche Unruhe in einem, die bisher zu lustigem Einkauf von so manchem Tand geführt hat und auch das Bedürfnis, dass ein anderer für das eigene Wohlergehen/Glück zuständig sei.

„Ich kann mich an den Wunsch nach Familie erinnern. Aber vielleicht war das auch nur, weil sich alle Frauen das wünschen. Woher weiß man, ob man selbst etwas will oder ob uns die Erziehung dazu programmiert hat?“ „Tiffany/Trinity“, Matrix Resurrections, 2021

Besitzorientierung führt in einer Partnerschaft zu den üblichen Machtkämpfen, weshalb es von Bedeutung ist, sich selbst klarzumachen, dass niemandem, etwas, jemand oder gar das Leben gehört. Wahrlich eine Herausforderung.

Einmal mehr, dass es jeder Einzelne selbst in der Hand hat und was das Wesen der Gier im Haben und Besitzen wollen ausmacht/verursacht.

Man kann noch soviel haben und sein Eigen nennen, gleich was man tut, die innere Leere bleibt, der Mensch ist erziehungstechnisch sozusagen „ins Außen gekippt“, was ihn nicht nur fremdbestimmbar macht.

Jemand der besitzorientiert ist, trifft mit jemandem zusammen, der ein Helfersyndrom hat und ebenfalls daran gewöhnt ist, Aufmerksamkeit dann zu bekommen, wenn er das macht, was ein anderer von ihm erwartet oder etwas macht, was möglicherweise ein anderer erwarten könnte, um dann möglicherweise Aufmerksamkeit zu erfahren.

„Treffen sich zwei Bettler und greifen sich gegenseitig in die Tasche: „Du hast ja auch nichts!“

Die aus der inneren Leere entstandene Erwartungshaltung tut dabei ihr „Bestes“, wenn es darum geht, die eigene „Glückseligkeit“ durch andere herbeiführen zu lassen und jene, die mit einem Helfersyndrom herumlaufen, geben sich nicht selten dabei auf, weil es ja egoistisch sei, an sich zu denken.

An diesem Punkt erkennt man die Verdrehung im System, die man mit Hilfe der Infragestellung überwinden kann. Hier tritt der dazu notwendige Mechanismus (Invertierung der Verdrehung, Bsp.: „…die Aufhebung der Aufhebung“) sehr deutlich zu Tage.

„Als Pole von „Gut“ und „Böse“ bot man den Menschen zwei Konzepte an: Egoismus und Altruismus. Unter Egoismus verstand man, andere für das eigene Wohlergehen zu opfern. Unter Altruismus sich selbst für andere zu opfern. Dies fesselte die Menschen unumkehrbar an andere Menschen und ließ ihnen nichts als eine Wahl des Schmerzes. Eigener Schmerz, der zum Wohle anderer ertragen werden muss, oder aber der Schmerz, der fürs eigene Wohl anderen zugefügt wird. Als man schließlich hinzufügte, dass der Mensch Freude an Selbstaufopferung finden soll, schnappte die Falle zu.“ Howards Roarks’ Verteidigungsrede, Ayn Rand’s „Der ewige Quell“

Alle Macht endet, wenn sich der Mensch dem Leben wieder zuwendet, was in ihm wirkt und ihn erfüllt, statt seiner ihn mit Tand und Privilegien belohnenden Gebieter.
Dem schließt sich die Aufgabe an, die gewohnten Denk- und Verhaltensmuster, die das System verkörpern ebenfalls zu hinterfragen und infrage zu stellen.

Und wer verstanden hat, dass ihm nichts gehören, der kann auch nichts verlieren, den kann man auch nicht mehr bestrafen.

Das vorhandene System zeigt mit Hilfe seiner systemimmanenten Verdrehung an, genau diesen Schritt – es infrage zu stellen – zu tun.

Die Entscheidung liegt beim Einzelnen selbst.

Musikalische Nachbetrachtung:

Nachtrag: „Adam Smith hat gesagt: Das beste Resultat erzielt man, wenn jeder in der Gruppe das tut, was für ihn selbst am besten ist. Richtig?“ „Das hat er gesagt, stimmt.“
„Unvollständig, unvollständig. Okay? Weil das beste Resultat dann erzielt wird, wenn jeder in der Gruppe das tut, was für ihn selbst am besten ist… und für die Gruppe… Regulierende Dynamik, Gentlemen, regulierende Dynamik… Adam Smith hat sich geirrt.“ Dialog zwischen „John Nash und Kollegen“ „A Beautiful Mind“, 2001

Nachtrag 2: Es geht – wie bereits oft erwähnt – auch nicht einfach um „entweder…oder“.

Nachtrag 3: Einmal mehr, dass es notwendig erscheint, sich auch über die Bedeutungen von Begrifflichkeiten einig zu sein, bspw. haben „Freiheiten, Freizügigkeiten, Reisefreiheit und finanzielle Freiheit“ nichts mit Freiheit zu tun. Erstere bedürfen einer Autorität, die sie wohlwollend gewährt. Doch wenn es opportun erscheint, auch diese einschränken oder sogar aufheben kann. Freiheit ist eine Eigenschaft des Menschen, der sich selbst entschlosen in Vernunft und Gewissen entfaltet, neben Frieden und Gerechtigkeit.

„Seither wurde den Menschen jedes nur erdenkliche Gebot gelehrt, dass den Schöpfer in ihnen zerstört. Den Menschen wurde Abhängigkeit als Tugend gelehrt. Doch nur der Mensch, der versucht für andere zu leben, ist ein Abhängiger. Er ist schon seiner Haltung nach ein Parasit, und er macht Parasiten aus denen, denen er dient. Die Beziehung führt zu nichts, als die gegenseitige Verdorbenheit. Sie ist konzeptionell unmöglich.
Das, was ihr in Wahrheit am nächsten kommt, der Mensch, der lebt, um anderen zu dienen, ist der Sklave. Doch wenn schon körperliche Sklaverei anstößig ist, wie viel mehr anstößiger ist dann das Konzept der Sklaverei des Geistes. Dem eroberten Sklaven bleibt ein Rest von Ehre. Ihm bleibt der Verdienst Widerstand geleistet zu haben und seine Situation als schlecht zu betrachten.
Doch der Mensch, der sich freiwillig im Namen der Liebe versklavt, ist die niederträchtigste aller Kreaturen. Er verachtet die Würde des Menschen und entwürdigt das Konzept der Liebe. Aber genau das ist das Prinzip des Altruismus.“
Verteidigungsrede des „Howard Roarks“, „The Fountainhead“ von Ayn Rand, 1943 (Quelle: Youtube)

Nachtrag 4: Der Beitrag mag etwas komisch klingen. Doch auch der Umgang mit dem Ausdruck „Egoismus“ wurde bisher auch nur systemgerecht gelernt und ist infrage zu stellen. Wenn man sich mit dem System der alten Ordnung auseinandersetzt, so erkennt man, dass man sich anerzogen kollektiv vom Leben abgewandt hat und jeder für sich wieder den Weg ins Leben zu finden hat. Denn schließlich geht es darum, dass man niemandem vorschreiben kann, was er wie zu machen hat oder ob überhaupt. Was die Mehrheit zusammenhält, ist ein Phänomen, was allgemein mit „Gruppenzwang“ bezeichnet wird, befördert durch die Gleichschaltung in den wesentlichen Denk- und Verhaltensmustern und davon abgeleiteten Konventionen und gesellschaftlichen Wertvorstellungen.